RE: Hilfe für Betroffene

#76 von Christine , 02.04.2017 13:28

21. Februar 2017 | 15.30 Uhr
"Way Guard"
App soll Heimweg für Frauen sicherer machen
"Way Guard": App soll Heimweg für Frauen sicherer machen

Köln. Eine neue App soll vor allem Frauen sicherer nach Hause bringen. Freunde und Bekannte oder eine spezielle Leitstelle können den Weg einer Person überwachen und im Ernstfall Hilfe rufen. Wie das funktioniert, erklären wir hier. Von Sabine Kricke

Man geht abends eine unbeleuchtete Straße entlang und ist allein.Plötzlich hört man ein Geräusch und fühlt sich nicht sicher. Vor allem junge Frauen kennen diese mulmige Gefühl, aber auch Männer sind natürlich vor gewalttätigen Übergriffen nicht geschützt. Mit der App "Way Guard" soll nun zumindest das Gefühl von Sicherheit erhöht werden. Im Notfall kann über die App der Standort des Opfers genau ermittelt werden.

Die App wurde von der Versicherung Axa in Kooperation mit der Kölner Polizei entwickelt und ist seit Oktober 2016 auf dem Markt. "Anfänglich haben wir die App vor allem mit jungen Studentinnen getestet", sagt Anja Kroll von der Axa im Gespräch mit unserer Redaktion. Jedoch sei die App nicht nur für Frauen gedacht, sondern für jeden, der sich bei seinem Heimweg unwohl fühlt.

So funktioniert die App

Das Prinzip dahinter ist simpel: Die zu begleitende Person und ihr Vertrauter, der von der Couch zu Hause den Heimweg überwachen kann, müssen die App installiert haben. Nach einem kurzen Anmeldeverfahren, bei dem Handynummer, Name und E-Mail-Adresse angegeben werden müssen, ist die App einsatzbereit. Wer begleitet werden möchte, geht auf seine Kontakte und wählt einen Begleiter aus. Sobald dieser die Anfrage auf seinem Handy bestätigt, kann es los gehen. Über eine Karte sieht der Begleiter, wo sich die Person auf dem Heimweg genau aufhält.

Über die App kann zudem mit dem Begleiter telefoniert oder gechattet werden. Ist man sicher zu Hause angekommen, gibt man das über die App an und kann sie schließen. Sollte es zu einem Notfall kommen, können beide Nutzer per Wischfunktion die Leitstelle von "Way Guard" informieren. Diese soll dann umgehend die Polizei informieren.

Vorraussetzung für das Benutzen der App ist jedoch eine ausreichende Internetverbindung. Das ist vor allem in ländlichen Gebieten oder in Parks häufig nicht der Fall. Sollte der Handyakku leer sein, ist eine Begleitung über die App natürlich ebenfalls nicht möglich.

Leitstelle übernimmt Begleiterfunktion

Wer vor allem zu später Stunde niemanden hat, der den Heimweg auf dem Handy begleiten könnte, für den gibt es eine eigens eingerichtete Leitstelle, die 24 Stunden besetzt ist. "Hier kann man sich von ausgebildeten Mitarbeitern begleiten lassen. Im Notfall können diese schnell Hilfe holen und der Polizei die genauen Koordinaten mitteilen", sagt Kroll. Das sei vor allem in Stresssituationen wichtig: "Wenn man verfolgt wird, fällt es schwerer, sich genau auf den Ort zu konzentrieren, an dem man sich befindet", so die Expertin.

Begleitet werden kann man übrigens nur, wenn man selbst aktiv eine Anfrage an einen Begleiter stellt. "Beide können jederzeit die Begleitung abbrechen", sagt Kroll. So könne niemand gegen seinen Willen überwacht werden.

Einen ähnlichen Ansatz hatten bereits die Betreiber des "Heimwegtelefons". Knapp 50 Ehrenamtler sind donnerstags und am Wochenende telefonisch erreichbar, um Menschen auf ihrem Heimweg zu begleiten. Das funktioniert jedoch nur über Handygespräche – eine Standortüberwachung gibt es hier nicht.

Tipps zur Prävention

Neben der Heimwegbegleitung findet man in der App außerdem Tipps der Polizei zur Prävention. Der erste Ratschlag lautet: "Wenn du nicht alleine nach Hause gehen willst, verabrede dich vorher mit Freunden für den Heimweg. In der Gruppe seid ihr sicherer." Und genau das sollte allen Nutzern bewusst sein. Die App gibt zwar den aktuellen Standort an, jedoch kann sie nicht vor einem Übergriff oder einer Notfallsituation schützen. Im Zweifel sollte man sich für die Taxifahrt oder den Heimweg mit Freunden entscheiden.

Finanziert wird die "Way Guard"-App bislang von der Versicherung. Kosten für den Nutzer fallen, abgesehen von der Internetverbindung, nicht an.

http://www.rp-online.de/nrw/panorama/app...n-aid-1.6622342


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RE: Hilfe für Betroffene

#77 von Christine , 02.04.2017 13:29

Französischer Thriller "Elle" mit zwei Césars ausgezeichnet
Der Psycho-Thriller "Elle" hat bei der Verleihung des französischen Filmpreises César zwei der begehrten Auszeichnungen erhalten: Der niederländische Regisseur Paul Verhoeven nahm am Freitagabend den

Der Psycho-Thriller "Elle" hat bei der Verleihung des französischen Filmpreises César zwei der begehrten Auszeichnungen erhalten: Der niederländische Regisseur Paul Verhoeven nahm am Freitagabend den César für den besten Film entgegen, Hauptdarstellerin Isabelle Huppert den Preis als beste Schauspielerin. Der Film hat in den USA bereits zwei Golden Globes gewonnen. Mit Spannung wird nun erwartet, ob die für einen Oscar nominierte Huppert am Sonntagabend in Hollywood auch die begehrte US-Trophäe entgegen nehmen kann.

Mit elf Nominierungen war "Elle" als einer der Favoriten ins Rennen um den César gegangen. Die 63 Jahre alte Huppert spielt in dem Film eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die sich nach ihrer brutalen Vergewaltigung auf ein gefährliches Rachespiel mit ihrem Peiniger einlässt.

Drei Césars erhielt der Film "Einfach das Ende der Welt": Als bester Schauspieler wurde Gaspard Ulliel für seine Rolle als kranker Homosexueller geehrt, der nach nach langjähriger Abwesenheit zu seiner Familie zurückkehrt, um sie über seinen baldigen Tod zu informieren. Der erst 27 Jahre alte Kanadier Xavier Dolan bekam die Auszeichnung als bester Regisseur. Einen weiteren César gab es für den besten Schnitt.
Zum besten ausländischen Film gekürt wurde "Ich, Daniel Blake" vom britischen Regisseur Ken Loach. Sein Film erzählt von einem Handwerker, der nach einem Herzinfarkt auf Hilfe vom Arbeitsamt angewiesen ist und an der Bürokratie verzweifelt. Das Sozialdrama war bereits beim Filmfestival in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet worden.

Hollywood-Star George Clooney nahm einen Ehren-César entgegen. Mit einem Plädoyer für die Verteidigung der Freiheit in den USA unter Präsident Donald Trump erntete der 55-Jährige stehende Ovationen. "Wir nennen uns die Verteidiger der Freiheit, aber wir können nicht die Freiheit im Ausland verteidigen, wenn wir sie bei uns vergessen", sagte er, als er den Ehren-César entgegennahm.

"Sehr stolz" zeigte Clooney sich hingegen auf seine Frau Amal, die mit Zwillingen schwanger ist und den leicht gerundeten Bauch bei der Gala in einem engen weißen Kleid vorzeigte. "Ich liebe Dich", rief er in ihre Richtung, und erklärte dem Publikum, er sei sehr "aufgeregt mit Blick auf die kommenden Jahre und besonders die nächsten Monate".

Regisseur Roman Polanski hätte eigentlich den Ehrenvorsitz der 42. César-Zeremonie übernehmen sollen. Er verzichtete aber nach Protesten von Frauenrechtlerinnen wegen früherer Vergewaltigungsvorwürfe.

http://www.stern.de/news/franzoesischer-...source=standard


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RE: Hilfe für Betroffene

#78 von Christine , 02.04.2017 13:30

Diese 5 Regeln solltest du unbedingt befolgen, um eine Vergewaltigung zu verhindern
The Huffington Post | von Bettina Pohl

Veröffentlicht: 26/02/2017 16:55 CET Aktualisiert: Vor 59 Minuten

Trink nicht zu viel, zieh dich angemessen an, lass dich nicht von fremden Männern anquatschen - diese furchtbaren Tipps, um nicht vergewaltigt zu werden, haben die meisten Frauen schon einmal mit auf den Weg bekommen. Sie suggerieren auf unmögliche Weise, dass sie selbst schuld seien, wenn es zu einem Übergriff kommt.

Ein reddit-Nutzer hat den Spieß jetzt umgedreht. Er hat eine To-Do-Liste entworfen, die sich an potenzielle Vergewaltiger richtet. Und ihnen dabei helfen soll, nicht zum Täter zu werden.

Zugegeben, die Idee dahinter ist sehr ironisch. Und sollte auch als solche aufgefasst werden. Doch das Statement ist stark.


5 Tipps, einer Vergewaltigung vorzubeugen

1. Wenn jemand betrunken ist, vergewaltige ihn nicht.

2. Wenn du siehst, dass jemand alleine nach Hause geht, dann lass ihn auch alleine nach Hause gehen.

3. Nutze deinen Freundeskreis! Falls es dir schwer fällt, die Finger von jemandem zu lassen, bitte einen guten Freund darum, dir die ganze Zeit Gesellschaft zu leisten.

4. Trage eine Pfeife bei dir. Wenn du denkst, du könntest gleich jemanden vergewaltigen, blase so lange in die Pfeife, bis jemand kommt und dich davon abhält.

5. Vergiss nicht: Ehrlichkeit ist der beste Schutz. Wenn du jemanden um ein Date fragst, tu erst gar nicht so, als wärst du an dem Charakter dieser Person interessiert. Erzähl einfach direkt, dass du vorhast, sie später noch zu vergewaltigen. Wenn du deine Absichten nicht kommunizierst, könnte es als Zeichen gegen eine Vergewaltigung verstanden werden.

Rape Culture führt dazu, dass Frauen ihre Kleidung, ihre Getränke, ihr Verhalten und ihre Sexualität ständig überprüfen müssen. Um sich vor Männern zu schützen. Rape Culture zeigt, wie machtlos Männer gegenüber ihren gewalttätigen, sexuellen Trieben sein können. Rape Culture betrifft jeden. Und jeder sollte aufstehen und sich gegen sie zur Wehr setzen.

Als Rape Culture, zu Deutsch etwa "Vergewaltigungskultur", bezeichnet man einen gesellschaftlichen Zustand, in dem Menschen die Schuld für Vergewaltigungen Frauen zusprechen. In diesen sozialen Milieus wird sexuelle Gewalt gegen Frauen kleingeredet und toleriert.

reddit-Nutzer kritisiert die Liste

Obwohl die Liste breiten Zuspruch fand, gibt es auch kritische Stimmen. Ein Nutzer weist darauf hin, dass die Liste ein verzerrtes Realität wiedergibt: "Sie verbreitet das Bild, dass Vergewaltigungen immer von Fremden, in einer dunklen Gasse begangen werden. Das könnte es Opfern, die von Familien oder Angehörigen missbraucht wurden, schwerer machen - mit ihrer Geschichte rauszurücken oder ernst genommen zu werden."

Der Erfinder der Liste betont jedoch: "Es ist eine Satire. Um zu zeigen, wie die Opfer heutzutage zu gedemütigt werden und wie wenig unternommen wird, um das Verhalten und die Einstellung der Täter zu ändern."

http://www.huffingtonpost.de/2017/02/26/...many&ir=Germany


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RE: Hilfe für Betroffene

#79 von Christine , 02.04.2017 13:31

Vergewaltigung
:
Gewalt ohne Namen
Soll man noch "Vergewaltigungsopfer" sagen? Betroffene befreit man nicht vom Stigma, indem man sie einfach anders nennt. Zwischenruf in einer fehlgeleiteten Debatte
Von Marion Detjen
27. Februar 2017, 20:10 Uhr 1 Kommentar

Als ich damals, nach dem, was mir im Wald passiert war, nach Hause kam, hatte ich sicherlich kein Wort dafür. Vielleicht sagte ich: "Da kam ein Mann und hat mich vom Fahrrad gezerrt …" Auch meine Familie fand keine Bezeichnung für das, was mir geschehen war. Es wurde auf keinen Begriff gebracht, und das war in meinem Fall letztlich gut so: Das Tabu schützte mich und sorgte dafür, dass die Deutung dieses – ja: dieses Erlebnisses – bei mir blieb. Die Polizei wollte den genauen Tathergang wissen; für die konkreten sexuellen Gewalthandlungen einen sprachlichen Ausdruck zu finden, war schwer genug.

Das Wort "Vergewaltigungsopfer" habe ich erst später kennengelernt und es mir, Gott sei Dank, bis heute vom Leibe gehalten. Ich weiß noch, wie erschrocken und angewidert ich war, als ich es zum ersten Mal hörte. Dass es solche Begriffe braucht, um die gesellschaftlichen Folgen von etwas zu regeln, das nie hätte passieren dürfen, ist ein Problem, das ich mir nie zu eigen machen wollte. Sollen die anderen sich mit diesen Wörtern herumschlagen. Wie sie mit dem Hässlichen und Gewalttätigen der Sprache, die sie im Mund führen, zurechtkommen, geht mich nichts an.

Ich sehe ein, dass man das Dings irgendwie nennen muss, um Statistiken zu führen, Rechte und Ansprüche zu definieren, die Täter haftbar zu machen et cetera. "Call it Cornflakes", hat ein Lehrer von mir immer gesagt, wenn er mit uns Begriffsarbeit machte. Wir haben die Begriffe nötig, aber sie sind tückisch, weil sie die Entfremdung, die der Betroffenen durch die Gewalttat entsteht, wiederholen, und wir sollten sie nicht mit der Realität des Erlebens verwechseln, die eine andere Sprache verlangt.
Jupiter geht straffrei aus

Marion Detjen Portrait
Marion Detjen ist Historikerin am Zentrum für Zeithistorische Forschung. Ihre Schwerpunkte liegen auf der deutsch-deutschen Migrationsgeschichte, Gender und den Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Sie ist Mitglied der Redaktion von "10 nach 8". © privat

In Ovids Metamorphosen passiert es der Nymphe Callisto, auch ihr passiert es in einem Wald. Jupiter geht straffrei aus, weil die grausame Götter- und Menschengesellschaft, in der die beiden sich bewegen und in der die Tat geschieht, ihre Folgen anders regelt als wir. Das crimen, als Verbrechen und Frevel und Schuld, geht auf die Geschändete über, und Callisto wird der Rache Junos ausgeliefert. Dass sie ein Opfer gewesen (victima) oder ein Opfer gebracht hätte (sacrificium), davon ist bei Ovid nicht die Rede, es hätte auch überhaupt keinen Sinn ergeben in der antiken Gesellschaftsordnung. In den Augen der anderen ist sie die Ehebrecherin (adultera) und Trägerin der Schande (dedecus, crimen, culpa). Aber dabei belässt es Ovid eben nicht, sondern versetzt sich in Callisto hinein und schildert genau, wie sie es erlebt. In Ovids Dichtung wird das Erlebnis Vergewaltigung universell und zeitlos.

In der taz haben Mithu Sanyal und Marie Albrecht unlängst den Vorschlag gemacht, das Wort "Vergewaltigungsopfer" durch "Erlebende sexualisierter Gewalt" zu ersetzen, und damit einen Shitstorm sondergleichen entfacht. Ich verstehe ihren Vorschlag als einen, allerdings misslingenden, Versuch, die von Ovid beschriebene Diskrepanz zwischen den hässlichen, gewalttätigen Wörtern, die die Gesellschaft für ihr Funktionieren braucht, und dem Erleben derjenigen, die sich in dieser Gesellschaft plötzlich schutzlos wiederfinden, zu thematisieren. Natürlich ist eine Vergewaltigung ein Erlebnis, und natürlich ist "das Einzige, was Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, teilen, (…) eben dieses Erlebnis", da haben Sanyal und Albrecht völlig recht. Erlebnisse werden zu Erfahrung, und die Erfahrung können wir uns zunutze machen. In der Erfahrung deuten und interpretieren wir eine Geschichte, die zuallererst uns gehört, und nicht der Gesellschaft. Darin liegt das emanzipative Potenzial des Vorschlags.


Wir, die Redaktion von 10 nach 8, sind ein vielseitiges und wandelbares Autorinnenkollektiv. Wir finden, dass unsere Gesellschaft mehr weibliche Stimmen in der Öffentlichkeit braucht. Wir denken, dass diese Stimmen divers sein sollten. Wir vertreten keine Ideologie und sind nicht einer Meinung. Aber wir halten Feminismus für wichtig, weil Gerechtigkeit in der Gesellschaft uns alle angeht. Wir möchten uns mit unseren LeserInnen austauschen. Und mit unseren Gastautorinnen.

Hier finden Sie alle Texte, die 10 nach 8 erscheinen.

Misslungen ist der Versuch jedoch deshalb, weil Sanyal und Albrecht naiv glaubten, durch Ersetzung der hässlichen Wörter gleich auch das Stigma mit zu beseitigen, das wohl in fast allen Gesellschaften mit Vergewaltigung einhergeht. "Doch keine Sorge, es gibt eine Lösung!", schreiben sie. Nein, so einfach ist es nicht. Solange bei uns Vergewaltigungen vorkommen, wird auch das Stigma da sein. Ändern lassen sich nur die Folgen, die aus dem Stigma erwachsen, und die Art und Weise, wie es wirkt: Es ist immerhin schön und ein Fortschritt, dass wir heute nicht mehr in Bärinnen verwandelt, also ganz aus der Gesellschaft ausgestoßen werden, wie Callisto. Sanyal und Albrecht haben den Fehler begangen, die Diskrepanz zwischen den etablierten Begriffen und dem Erleben der Betroffenen nicht nur zur Diskussion zu stellen, sondern schließen zu wollen. Sie hätten lieber mit Ovid an einer Sprache für das Erleben arbeiten sollen, als es zum Begriff zu zementieren und zu bürokratisieren. (Eine Zusammenfassung der gewalttätigen Auseinandersetzung um ihren Artikel findet sich hier.)

Das Opfer bekommt einen Status

Trotzdem bin ich für ihren Vorschlag dankbar. Er hat mir die ganze grundsätzliche Ambivalenz des Opferbegriffs noch einmal vor Augen geführt. In der Bundesrepublik werden dem Opfer Rechte und Rehabilitierungen zugestanden: Wer als "Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung" anerkannt wurde, bekommt Entschädigungszahlungen, "Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet" (soll heißen: in der ehemaligen DDR) erhalten Ausgleichsleistungen, Opferverbände aller Art bekommen staatliche Finanzierungen und politische Mitsprache, das "Opfergedenken" ist Teil einer staatlich beauftragten und abgesicherten Erinnerungskultur, mit Anspruch auf Pietät, die im Zweifelsfall sogar strafrechtlich durchgesetzt wird, et cetera. All diese Wiedergutmachungsversuche können als Errungenschaften gelten.
Der Haken ist nur, dass sie erst nachträglich funktionieren und nichts an den Ursachen ändern, die das Opfer zum Opfer gemacht haben. Diejenigen, die sie in Anspruch nehmen – in Anspruch nehmen müssen, oft aus bitterster Not –, lassen sich dadurch gewissermaßen ruhigstellen.

Das Opfer bekommt einen Status, um den Preis, in die Ordnung einzuwilligen, die sie zuallererst schutzlos gemacht hat, jetzt aber anerkennt. Das Gleiche gilt übrigens zum Beispiel auch für Menschen mit Behinderungen und für geflüchtete Menschen: Die einen bekommen einen Behindertenausweis, Steuernachlässe, staatliche Hilfen, die anderen bekommen – wenn sie großes Glück haben – Flüchtlingsrechte nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Und sie alle erkennen durch Annahme ihres Status an, auf selbstverständliche Inklusion zu verzichten.

Sich als Opfer, als behindert, als Flüchtling zu outen, mag also in vielen Situationen notwendig sein, aber es ist und bleibt eine Stigmatisierung, eine Zuschreibung unerwünschter Andersheit, und wer sie vermeiden kann, wird sie vermeiden.

Ein Risiko, den Begriff aufzugeben?

Vielleicht ist es gerade dieser furchtbar schmerzhafte, stigmatisierende Zusammenhang zwischen der Schutzlosigkeit und der Einwilligung in die Ordnung, der die erstaunliche Aggressivität der Reaktionen auf Sanyals und Albrechts Artikel erklärt. Die Ordnung muss aufrechterhalten werden, und dafür wird mit den bösartigsten Unterstellungen gearbeitet. Dass sich die Kritiker/innen unter einem Erlebnis nichts anderes vorstellen können als ein Event – "Erlebniszoo", "Erlebnisurlaub", "Konzertbesuch" –, und den Autorinnen deshalb Verharmlosung vorwerfen, könnte man noch dem allgemeinen Trend zur Verflachung und zum Konsumismus des Erlebens zuschreiben, dem die Kritiker/innen offenkundig unterworfen sind. Ich will ihnen hier nur entgegnen, dass für mich das Erleben von Musik und die Erinnerung an mein Erlebnis im Wald natürlich zusammengehören.

Merkwürdiger ist der Voyeurismus, wenn sich zum Beispiel Simone Schmollack in der taz eine "Freundin" vorstellt, die vergewaltigt worden ist: "Die Arme! Was sie wohl durchgemacht hat?" Sie imaginiert die "heftigen Schmerzen im Unterleib", "zerrissene Kleidung", "blaue Flecken an Armen und Beinen", bla, bla, bla, und stellt sich dann vor, diese "Freundin" abzuservieren, weil sie den Opferbegriff ablehnt: "Will die mich verarschen? Sie ist vergewaltigt worden, tut jetzt aber so, als habe das mit ihr nichts zu tun, weil sie nicht als Opfer dastehen will?" Ja, Verarschung und Täuschung wird man von einer Vergewaltigten wohl erwarten müssen, herzlichen Dank für die Freundschaft!

Am merkwürdigsten jedoch ist, was Ursula Scheer in der FAZ schreibt: Sanyals und Albrechts Artikel führe "geradewegs in den Abgrund" – in welchen Abgrund? Was meint sie nur damit? Es "werde der Begriff des Opfers liquidiert" – hat sie den Artikel nicht gelesen? Dort steht doch explizit, dass die Begriffe koexistieren sollen. Und dann dies: Der Artikel stehe "beispielhaft für die Irrläufe eines reaktionären, vor allem im Internet heimischen Feminismus (…), der sich mit viel Hashtag- und Sprachvorschriftsgetöse als vermeintliche Speerspitze im Kampf um Gleichstellung aller Gender und Identitäten, Ethnien und Klassen geriert, tatsächlich aber Opferverachtung betreibt".

Hä? Opferverachtung? Wie kommt sie darauf? Der Artikel macht Fehler, aber er ist doch an keiner Stelle verächtlich. Verächtlich und höhnisch ist vielmehr diese Kritik, die nie abwägt, sondern gegen die "vermeintlichen Expertinnen" zu Felde zieht wie gegen den schlimmsten Feind. Und was meint sie nur mit "reaktionär"?
10 nach 8 - Politisch, poetisch, polemisch in den Abend.

Man kann ihnen allen das legitime Anliegen zugestehen, auf die Statusrisiken hinzuweisen, die mit der Aufgabe des Opferbegriffs verbunden wären, und die Errungenschaften zu verteidigen, die die Gesellschaftsordnung immerhin vorzuweisen hat. Doch um diesen Zweck zu erreichen, begehen sie den gleichen Fehler, den die Autorinnen begangen haben, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Die Autorinnen wollten die Beseitigung der Diskrepanz zwischen dem Erleben und der Gesellschaftsordnung zugunsten des Erlebens erzwingen. Die Kritiker/innen hingegen leugnen die Diskrepanz, indem sie das Erleben als ein passives "Leiden" sistieren, dem keine Eigenständigkeit und keine Entwicklung, keine Sprachmächtigkeit und keine politische Kraft zugestanden wird. Offenkundig wird der aktive Anteil des Erlebens und Erfahrens sexualisierter Gewalt als äußerst gefährlich, als regelrecht abgründig wahrgenommen und muss deshalb ausradiert werden.

Das Stigma einer Vergewaltigung ist unhintergehbar. Wir alle haben unabhängig von unserem guten Willen an der Stigmatisierung teil, bis in die Familien und in das privateste Umfeld der Betroffenen hinein. Ich denke, dass der erste Schritt sein müsste, diese Tatsache anzuerkennen. Dann wird es vielleicht auch möglich sein, die produktive und innovative Kraft, die das Stigma auch haben kann, zu erkennen und zu entwickeln, und die Angst vor der Aktivität des Erlebens abzubauen. Das Erleben sexualisierter Gewalt kennt nämlich nicht nur den Täter und die Tat, sondern sammelt auch Wissen um die Verknüpfungen zwischen dem Täter, der Tat, der eigenen Person und dem gesellschaftlichen Umfeld, in dem die Tat stattfindet. Und dieses Wissen und diese Aktivität sollten, gerade weil sie für die bestehende Ordnung so unbequem sind, für echte Veränderungen eingesetzt werden.

http://www.zeit.de/kultur/2017-02/vergew...komplettansicht


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RE: Hilfe für Betroffene

#80 von Christine , 02.04.2017 13:31

ÜBERFALL IN PARK-TOILETTE: JOGGERIN VERPRÜGELT VERGEWALTIGER

Seattle – Kelly Herron (36) ist eine begeisterte Läuferin, sie trainiert regelmäßig für Marathons. Meist joggt sie im "Golden Garden Park" in Seattle. Dort wurde sie während einer kurzen Pause von einem mehrfach verurteilten Vergewaltiger überfallen.

Kelly war auf einer zehn Meilen Runde unterwegs, nach vier Meilen musste sie eine Pause einlegen. Auf der öffentlichen Toilette trocknete sie gerade ihre Hände, als sie von hinten von dem 40-jährigen Gary Matthew Steiner angefallen wurde.

Er warf sie zu Boden und versuchte ihr die Hose runter zu zerren.

In diesem Moment wusste Kelly, sie muss kämpfen, und erinnerte sich blitzartig an das, was sie erst vor kurzem in einem Selbstverteidigungskurs gelernt hatte.

So begann sie sich aus Leibeskräften zu wehren und schrie immer wieder "Not today, Motherfucker", wie eine Art "Kampfruf".

Der heftige Widerstand machte ihren Peiniger noch wütender, er schlug immer wieder in ihr Gesicht. "Da wusste ich, dass es kein fairer Kampf wird", sagte sie zu ABC-News. Sie begann ihm sein Gesicht zu zerkratzen.

Mit Hilfe eines Passanten, der ihre Schreie gehört hatte, gelang es ihr sogar, den Vergewaltiger in einer Toilettenzelle einzusperren. Er wurde von der Polizei festgenommen und war übel zugerichtet. Sein Gesicht ist geschwollen, er hat mehrere Wunden.

Kelly Herron hat zwar einige Blessuren, Wunden und Blaue Flecke von dem Kampf abbekommen, aber, so schreibt sie bei den auf Instagram veröffentlichten Fotos ihrer Kampfspuren, "meine Seele ist gesund".

https://www.tag24.de/nachrichten/ueberfa...waltiger-227124


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RE: Hilfe für Betroffene

#81 von Christine , 02.04.2017 13:34

Sind Sie selbst betroffen? Hier finden Sie Hilfe.



Weißer Ring – Tipps zum Schutz vor sexuellem Missbrauch

http://weisser-ring.de/praevention/tipps...ller-missbrauch



Verein Zartbitter e.V.

http://www.zartbitter.de/gegen_sexuellen...l/100_index.php



Hilfeportal Sexueller Missbrauch des Familienministeriums

https://www.hilfeportal-missbrauch.de/startseite.html



Stibb – Kinder schützen, Opfern helfen

http://www.stibbev.de/praevention/modern...jIFkaAuy58P8HAQ



gegen-missbrauch e.V., Verein für Betroffene

http://www.gegen-missbrauch.de/presse.html


Kostenfreies Hilfetelefon bei sexuellem Missbrauch: 0800 - 2255 530



– Quelle: http://www.express.de/25742130 ©2017


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RE: Hilfe für Betroffene

#82 von Christine , 16.04.2017 07:54

Vergewaltigungen

Ich und mein Täter

Thordis Elva hat ein Buch mit dem Mann geschrieben, der sie vergewaltigt hat - und bricht so mit der eingeübten Rollenverteilung von Täter und Opfer.

Von Francesco Giammarco

Thordis Elva
Samstag, 15.04.2017 12:58 Uhr

Die Isländerin Thordis Elva und der Australier Tom Stranger sitzen in einem Hotel in Berlin-Mitte und machen Werbung für das Buch, das sie gemeinsam geschrieben haben. Sie gehen höflich miteinander um, entschuldigen sich, wenn sie sich ins Wort fallen. Es ist eine professionelle Beziehung.

Was überhaupt nichts Ungewöhnliches wäre, wenn die beiden nicht in ein Verbrechen verwickelt wären: sie als Opfer und er als Täter. Vor über 20 Jahren hat Stranger Elva vergewaltigt. Jetzt fahren sie gemeinsam um die Welt, was wiederum sehr ungewöhnlich ist, denn eine Zusammenarbeit zwischen Opfer und Täter sieht das Drehbuch, das von der Öffentlichkeit allgemeinhin auf Vergewaltigungsfälle angewendet wird, nicht vor.

Was ein Opfer und was ein Täter zu sein hat, ist im öffentlichen Diskurs über sexuelle Gewalt recht klar definiert. Täter sind verabscheuungswürdig und böse. Und Opfer? "Opfer müssen gut und rein und hilflos bleiben, sonst bist du kein echtes Opfer", sagte die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal unlängst der "taz". In ihrem Buch "Vergewaltigung" plädiert sie für einen differenzierteren Blick auf das Opfer-Täter-Schema.

Den Feldversuch zu dieser Forderung liefern Elva und Stranger in ihrem Buch "Ich will dir in die Augen sehen". Es ist die Geschichte einer Konfrontation, eines Treffens in Kapstadt, 20 Jahre nach der Tat. Die Zusammenarbeit der beiden hat für einige Aufregung gesorgt. In England musste eine Podiumsdiskussion auf einem Frauenfestival verschoben werden, weil Aktivistinnen gegen den Auftritt protestierten und eine Petition starteten. Der Vorwurf: Hier werde einem Sexualverbrecher eine Bühne geboten - mehr noch, ihm werde die Möglichkeit gegeben, an öffentlichem Ansehen zu gewinnen, indem er sich als eine Art einsichtiger Vergewaltiger inszeniere.

Der Mythos vom bewaffneten Mann in der dunklen Gasse

Dass Vergewaltigungen nicht nach einem Drehbuch verlaufen, lernte Thorids Elva 1996 mit 16 Jahren, der 18-jährige Austauschschüler Tom Stranger ist damals ihr Freund. Bei einem Schulball trinkt sie zu viel, hat vermutlich eine Alkoholvergiftung. Er bringt sie nach Hause, legt sie ins Bett und hat zwei Stunden lang gegen ihren Willen Sex mit ihr. Am nächsten Tag macht er mit ihr Schluss und fliegt später wieder nach Australien. Sie braucht etwa zwei Jahre, um genau zu begreifen, was in dieser Nacht passiert ist.

Elvas Vorstellungen eines Vergewaltigers waren geprägt von Filmen und Erzählungen. Bewaffnete Männer, die in dunklen Gassen auf einen warten, weil sie ihre Triebe nicht unter Kontrolle haben. Dass der erste Mann, in den sie verliebt war, sie vergewaltigt haben könnte, dafür gab es in ihrem Kopf keinen Referenzpunkt. Auch weil sie sich nicht eingestehen wollte - wie viele Opfer von Vergewaltigungen - dass sie eine Beziehung falsch eingeschätzt und ihr Vertrauen dem Falschen geschenkt hatte.

Dass Elva diese Schuldgefühle überwinden konnte, verdankt sie außergewöhnlichen Umständen. 2005, nach Jahren der persönlichen Krise, schreibt sie ihrem Täter einen Brief, indem sie alle Last und Schuld von sich ablädt. Sie bekommt eine Antwort, die sie nicht erwartet hätte: Ein Geständnis von Stranger und die Einwilligung, alles zu tun, um mit dem Geschehenen einen Umgang zu finden. Es beginnt ein acht Jahre dauernder Mailaustausch, der schließlich in dem Treffen in Kapstadt mündet.


Tom Stranger

Diese Kommunikation nennt Elva einen "Verantwortungsprozess". Es geht darum, die Verantwortung für das Geschehene - und alles, was es nach sich zog - dort zu platzieren, wo sie hingehört. Beim Täter. Der nahm, und das ist auch außergewöhnlich, diese Verantwortung an. Weil die Schuldfrage somit geklärt ist, schaffen es die beiden in ihrem Buch, über das Opfer-Täter-Schema hinauszugehen. Beim Treffen in Kapstadt definieren sie ihre Rollen neu: Sie ist die Starke und Mutige, die sich mit dem Thema sexuelle Gewalt auskennt, er ist der Unsichere, undisziplinierte, dessen Selbstbild infrage gestellt wurde. So schaffen sie es, sich anzunähern und über das Geschehene zu sprechen. Und Elva gewinnt etwas von der Macht zurück, die ihr das klassische Opfer-Narrativ verwehrt.

Hierfür gibt es kein Protokoll

Dennoch sind die beiden keine Freunde. Und Elva hat Stranger auch nicht vergeben. Für ihre gemeinsame Arbeit scheinen sie einen gewissen Verhaltensmodus gefunden zu haben: Nicht nur die Rollen sind genau definiert, sondern auch die Sprache. Vor dem Treffen wird Journalisten ein Dokument geschickt mit von den beiden bevorzugten Begriffen: Überlebende statt Opfer, Täter statt Vergewaltiger. Auch Fotografen werden gebeten, sie nur auf gewisse Weise zu inszenieren. Bei Fernsehinterviews soll der Moderator am besten zwischen ihnen sitzen. Klingt alles sehr kontrolliert, aber wie soll man es sonst machen? Es gibt kein Protokoll für diese Art von Zusammenarbeit von Überlebender und Täter - Elva und Stranger schaffen es sich selbst.


Thordis Elva, Tom Stranger:
Ich will dir in die Augen sehen
übersetzt von Charlotte Breuer und Norbert Möllermann

Knaur; 352 Seiten; 19,99 Euro

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Auch wenn "Ich will dir in die Augen sehen" in erster Linie die Geschichte von Elva ist, sie ist Hauptautorin, ihr Name auf dem Cover größer geschrieben, ist doch gerade die Sicht von Stranger interessant. Denn die Perspektive eines Täters wird in vielen Vergewaltigungsfällen ignoriert. Das liegt einerseits an der Schwere des Verbrechens. Aber auch daran, dass Vergewaltigungen noch immer als Frauenthemen verhandelt werden. Als etwas, vor dem sich Frauen schützen müssen - als gehöre es zum Leben halt irgendwie dazu.

Aber Vergewaltigungen werden von Männern begangen, nicht von Monstern. Sie geschehen nicht nur in dunklen Gassen, sondern in Beziehungen, Freundschaften und Ehen. Es liegt eigentlich nahe, verstehen zu wollen, was Täter antreibt. Niemand kann von einem Opfer verlangen, Empathie für seinen Täter aufzubringen, Elva, die es getan hat, verlangt das auch nicht. Aber eine Gesellschaft, die verhindern will, dass Männer zu Tätern werden, sollte sich vielleicht damit beschäftigen. Oder wie Mithu Sanyal sagt: "Unser Umgang mit vermeintlichen Tätern ist allerdings völlig empathielos. Und wir können nicht von Menschen erwarten, dass sie sich für Empathie öffnen, wenn wir sie ihnen - als Gesellschaft - verwehren."

Als Facette des Charakters akzeptieren

Stranger selbst will lange nicht realisiert haben, was er getan hat. Er spricht von einer "Phase der unbewussten Unterdrückung" und einem Unwillen, die besagte Nacht erneut zu durchleben. Als er 2005 den Brief von Elva bekam, erkannte er sich in ihren Beschreibungen wieder. "Es gab keinen Zweifel, das war, was ich getan hatte." In der Folge setzt sich Stranger mit sich auseinander, er ist ein durchschnittlicher middle-class Australier, gebildet, gut erzogen. Er hat sich nie für einen aggressiven Menschen gehalten - noch hat er je daran gedacht, eine Frau zu missbrauchen. Dennoch hat er es getan: "Das muss ich als Facette meines Charakters akzeptieren. Als etwas, zu dem ich fähig bin", sagt er leise.


Müsste er die Frage, warum er vergewaltigt hat, in seinem Satz beantworten, sagt Stranger: "Ich hatte die Einstellung, dass ein junger Mann, der mit einer Frau ausgeht, das Recht auf Sex hat." Er sucht für sich den Grund in toxischen Männlichkeitskonzepten, mit denen auch junge, gut gebildete, westliche Männer aufwachsen. Denen zufolge eine Frau jemand ist, den man haben kann, oder zumindest jemand, dem man keine Empathie entgegen bringt, wenn die eigenen Bedürfnisse von innen heftig anklopfen.

Weder haben Elva und Stranger ein Handbuch für den Umgang mit Vergewaltigungen geschrieben, noch sprechen sie sich für Straffreiheit in Fällen sexueller Gewalt aus. Die öffentliche Dämonisierung von Tätern hält Männer aber sicherlich davon ab, sich mit Vergewaltigungen und ihren Gründen auseinanderzusetzen. Weil kein Mann von sich glaubt, ein Monster zu sein. Monster sind immer die anderen.

http://www.spiegel.de/kultur/literatur/t...05.html#ref=rss


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RE: Hilfe für Betroffene

#83 von Christine , 26.04.2017 10:58

"Stealthing"
Gilt heimliche Kondomentfernung als Vergewaltigung?

25. April 2017

Wenn Männer beim Sex heimlich das Kondom entfernen - ist das dann eine Vergewaltigung?
Die Juristin Alexandra Brodsky aus den USA hat Interviews mit Opfern geführt. Die Betroffenen gaben an, sich missbraucht gefühlt zu haben. Sie hatten vor allem Angst, ungewollt schwanger zu werden und vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Die meisten der Betroffenen waren aber unsicher, wie sie sich verhalten sollten und ob es sich dabei um eine Vergewaltigung handelt.

Für die Autorin der Studie ist klar: Wird das Kondom ohne Zustimmung entfernt, ist es kein einvernehmlicher Sex mehr. Sie sagt, es sei nötig, das Ganze juristisch als Straftat zu behandeln.

Das Kondom beim Sex heimlich abzustreifen, wird auch "Stealthing" genannt. Laut Brodsky kommt "Stealthing" immer häufiger vor. Es gibt sogar Internetforen, in denen Tipps stehen, wie das Kondom besonders unauffällig abgezogen werden kann. Die Männer dort sehen es als ihr Recht an, ihren Samen zu verbreiten.

Die Studie von Brodsky ist im Fachmagazin Colombia Journal of Gender and Law erschienen.

http://www.deutschlandfunk.de/stealthing...:news_id=737569


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RE: Hilfe für Betroffene

#84 von Christine , 08.05.2017 13:34

Main-Kinzig-Kreis
Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung

Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung
Landkreis Main-Kinzig-KreisMedizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung
Montag, 08.05.2017, 11:12
Jetzt auch das St.
Vinzenz-Krankenhaus mit im Boot

Main-Kinzig-Kreis. – „Kein gutes Thema, aber ein guter Tag für das Projekt“, sagte Erste Kreisbeigeordnete und Dezernentin für Frauen- und Gleichstellungsfragen Susanne Simmler während einer Veranstaltung im St. Vinzenz-Krankenhaus in Hanau. Das Projekt „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ findet weitere Unterstützer und Beteiligte. Jetzt ist auch das St. Vinzenz-Krankenhaus mit dabei, ebenso wie bereits die Main-Kinzig-Kliniken und das Klinikum in Hanau.
Vor mehr als einem Jahr startete das Soforthilfe-Projekt mit Unterstützung des Vereins Frauennotruf Frankfurt im Main-Kinzig-Kreis und der Stadt Hanau. Frauen und Mädchen, die direkt nach einer Vergewaltigung keine Anzeige erstatten wollen oder können, werden medizinisch und psychosozial versorgt und es wird ihnen ermöglicht, durch Spurensicherung und Befundserhebungen, auch erst später, innerhalb eines Jahres, Anzeige zu erstatten.

Gemeinsam mit Hanaus Stadtrat Axel Weiss-Thiel informierte Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler während der Veranstaltung über das Projekt. Die Main-Kinzig-Kliniken hatten im vergangenen Jahr einen Fall, bei dem das Angebot der anonymen Untersuchung und Beweissicherung nach der Vergewaltigung helfen konnte. „Die meisten Vergewaltigungen werden nicht angezeigt, die Dunkelziffer liegt bei 90 Prozent“, berichtete Susanne Simmler. Die beteiligten Ärztinnen und Ärzte an den Krankenhäusern sind entsprechend geschult, ebenso die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Beratungsstellen. Einen besonderen Dank richtete Susanne Simmler an die Initiatorinnen des Projektes, die Frauenbeauftragte des Main-Kinzig-Kreises, Ute Pfaff-Hamann, und Andrea Pillmann, Leiterin der Stabstelle für Prävention, Sauberkeit und Sicherheit der Stadt Hanau.

Auch Stadtrat Axel Weiss-Thiel dankte allen Anwesenden für ihr Engagement. „Die Statistiken sagen zwar aus, dass Vergewaltigungsdelikte rückläufig sind, doch wissen wir, dass die Dunkelziffer hoch ist“, sagte der Sozialdezernent der Stadt Hanau. Die Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung ermögliche Frauen im Schutz der Anonymität sowohl die medizinische Versorgung sowie auch eine Beweisaufnahme machen zu lassen und den Täter eventuell später anzuzeigen. „Damit trägt sie auch dazu bei die Dunkelziffern zu verringern und Täter zu Verantwortung zu ziehen“, so der Stadtrat. Mit einer Werbekampagne in Hanauer Bussen und in öffentlichen Gebäuden werde man versuchen diese wichtigen Informationen so gut wie möglich in der Bevölkerung zu verbreiten.

Der Main-Kinzig-Kreis und die Stadt Hanau finanzieren die Materialien für die Beweisaufnahme und die Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Das Projekt kann helfen, Hemmschwellen abzubauen, denn die Opfer von sexueller Gewalt trauen sich oft nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil sie glauben, dann auch Anzeige erstatten zu müssen. „Für viele Frauen und Mädchen kommt eine polizeiliche Anzeige nach einer Vergewaltigung nicht in Frage, so wenden sie sich nicht an die Polizei und bleiben häufig auch medizinisch unversorgt mit oft dauerhaftem Schaden für Leib und Seele“, erklärte Simmler.

Eine Anzeige über den Kopf der Betroffenen hinweg werde es nicht geben, es gilt die ärztliche Schweigepflicht, an erster Stelle stehen die Gesundheit und das weitere Wohlergehen der betroffenen Menschen. Frauen und Mädchen können sich nach einer Vergewaltigung medizinisch versorgen lassen und auf Wunsch eine vertrauliche Spurensicherung durchführen lassen, ohne eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten. In den Kliniken liegen entsprechende Untersuchungskits und Dokumentationsbögen zur gerichtsverwertbaren Befunderhebung bereit. Im Anschluss an die Untersuchung werden die Materialien ein Jahr lang in der Rechtsmedizin gesichert, so lange keine Anzeige erfolgt, stehen die Behandelnden unter Schweigepflicht.

Wollen die Betroffenen zu einem späteren Zeitpunkt die Polizei einschalten, können die gesicherten Materialien und Spuren genutzt werden und die Ärzte werden von ihrer Schweigepflicht entbunden. Kommt es nicht zur Anzeige wird das Material nach einem Jahr entsorgt. Auch Jungen und Männer werden vergewaltigt – das hier beschriebene Angebot kann auch von ihnen genutzt werden. Im Fokus der Versorgung stehen aufgrund der hohen Betroffenenzahlen Frauen und Mädchen.

Unterstützung erfährt das Projekt vom Netzwerk gegen Gewalt, die Gewaltpräventionsinitiative der Hessischen Landesregierung. Neben den Kliniken beteiligen sich die Beratungsstellen: pro familia Hanau und Schlüchtern, der Sozialdienst katholischer Frauen in Bad Soden-Salmünster, die beiden Beratungsstellen der Vereine Frauen helfen Frauen aus Hanau und Wächtersbach sowie die Lawine in Hanau, die Hanauer Hilfe und die Stiftung Lichtblick Hanau. Unter http://www.soforthilfe-nach-vergewaltigung.de finden Interessierte sowie Hilfesuchende ausführliche Informationen über das Programm.

„Gewalt gegen Frauen, Mädchen, Männer und Jungen wird von der Gesellschaft verharmlost oder geleugnet, trotz aller Aufklärung und Prävention, deshalb muss dieses Thema ans Licht gebracht und Öffentlichkeit erzeugt werden“, sagte Simmler und freute sich zum Abschluss des Termins, dass mit dem St. Vinzenz-Krankenhaus ein weiterer Knoten im Netzwerk dazugekommen sei, der das Netz engmaschiger zu knüpfen helfe.

Professor Dr. Georg-Friedrich von Tempelhoff, Chefarzt der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe am St. Vinzenz-Krankenhaus, berichtete, dass er das Projekt sehr interessant und wichtig finde und freut sich darüber, dass es breite Zustimmung unter seinen Kolleginnen und Kollegen am Krankhaus findet.

http://www.focus.de/regional/hessen/main...id_7098225.html


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RE: Hilfe für Betroffene

#85 von Christine , 16.05.2017 09:55

Gilt „Stealthing“ auch in Deutschland als Vergewaltigung?
12 Mai, 17:38

Gerrit-Freya Klebe
Poesie & Politik

Wenn ein Mann während des Sex das Kondom entfernt, ohne dass es die Frau mitbekommt, nennt sich das Stealthing.

In der Schweiz wurde ein Mann jetzt vom Waadtländer Kantonsgericht zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Es sei keine Vergewaltigung, sondern Schändung.

Der Münchner Rechtsanwalt Vincent Burgert erklärt im NOIZZ-Interview, wie das im deutschen Recht aussieht.

NOIZZ: Würde ein Straftäter mit demselben Delikt auch in Deutschland verurteilt werden?

Vincent Burgert: Eine Strafbarkeit wegen Vergewaltigung durch Stealthing kommt auch in Deutschland in Betracht.

Zwar fand in dem Schweizer Fall der Sex grundsätzlich einvernehmlich statt.

Doch kann nicht davon ausgegangen werden, dass es im Einklang mit dem Willen des Sexualpartners steht, wenn der Mann während des Geschlechtsverkehrs heimlich das Kondom entfernt.

Da das Opfer nicht mit diesem Vorgehen rechnet, wird hier ein Überraschungsmoment ausgenutzt. Der Mann dringt dann gegen den Willen seines Sexualpartners in dessen Körper ein und erfüllt damit den Tatbestand der Vergewaltigung, § 177 Abs. 6 StGB.

Es droht somit eine Freiheitsstrafe nicht unter 2 Jahren.

Hatten Sie es schon mal mit so einem Fall zu tun? Oder gab es sowas in Deutschland noch nicht?

Burgert: Ich hatte bereits einen ähnlich gelagerten Fall. Meinem Mandanten wurde dabei zur Last gelegt, entgegen der Vereinbarung mit seiner Sexualpartnerin, heimlich kein Kondom verwendet zu haben.

Dies konnte letztlich jedoch nicht nachgewiesen werden, weshalb das Verfahren mit einem Freispruch endete. Andere Fälle von Stealthing sind mir nicht bekannt.

Wie sieht das in anderenn Ländern aus?

Burgert: Auch in anderen Ländern kommt eine Strafbarkeit wegen Vergewaltigung in Betracht. So wurde beispielsweise der Wikileaks-Gründer Julian Assange in Schweden wegen Vergewaltigung verurteilt.

Ihm wurde zur Last gelegt, die Aufforderung zweier Frauen, beim Sex ein Kondom zu verwenden, ignoriert zu haben.

In Schweden droht für Vergewaltigung ebenfalls eine Freiheitsstrafe von nicht unter 2 Jahren.

Quelle: Noizz.de


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RE: Hilfe für Betroffene

#86 von Christine , 02.06.2017 10:04

Mit 21 wurde Marie vergewaltigt. Wie sie es schafft, endlich darüber zu sprechen

01.06.2017, 10:54 · Aktualisiert: 01.06.2017, 13:47 Katharina Hölter Katharina Hölter
Immer, wenn etwas in ihrem Leben schief läuft, könnte Marie es mit diesem einen Tag vor zwölf Jahren entschuldigen. Mit dem, was ihr widerfahren ist. Aber das will sie nicht. Marie hat beschlossen, glücklich zu sein.

Dabei hatte auch der Tag damals die besten Voraussetzungen, ein guter für Marie zu werden. Sie heißt eigentlich anders, möchte für diesen Text aber anonym bleiben. Mit einer Freundin hatte Marie gerade drei Monate in Australien verbracht – am Strand, auf Partys, in Sydney beim Sightseeing. Ein Zwischenstopp in Singapur, dann sollte es für die beiden zurück nach Deutschland gehen.

Aber als Marie an diesem Morgen im Juli aufwacht, weiß sie nicht auf welchem Kontinent sie ist. Es ist früh, langsam öffnet sie ihre Augen, die Sonne scheint ihr ins Gesicht. Erst sieht sie verschwommen, dann immer klarer. Das ist nicht das Hotelzimmer in Singapur, in dem sie eigentlich hätte aufwachen sollen.

Marie schaut an sich herunter. Sie liegt auf einem Bett, bedeckt mit einem dünnen Tuch, das um sie gebunden ist. Darunter trägt sie nichts außer ihrer Unterhose, so erinnert sie sich heute.


Ihre Freundin liegt angezogen neben Marie im Bett, am anderen Ende des Raumes ein Mann, dunkle Haut, lockige Haare, um die 40. Marie kennt ihn nicht. Er schläft noch auf dem Sofa. Irgendetwas fühlt sich komisch an, Marie weiß nicht genau was. Benebelt sieht sie Erbrochenes auf dem Boden. Dunkel erinnert sie sich, es muss ihres sein. Marie macht es weg und geht duschen.

Unter der Dusche kehren immer mehr Erinnerungen zurück.

Die beiden Freundinnen trafen den Mann am Abend vorher auf den Straßen Singapurs, auf der Suche nach einem Restaurant. Sie waren müde vom Flug, wollten einfach nur schnell essen. Er bot seine Hilfe an.

Der Mann zeigte ihnen ein Restaurant. Erst wartete er an der Bar, dann spendierte er den beiden Drinks. Es wurden immer mehr. Wahrscheinlich schüttete er K.o.-Tropfen hinein – das vermutet Marie im Nachhinein. Dann dann verblassen die Erinnerungen. Marie hat bis heute keine Ahnung, wie sie in die Wohnung gekommen ist. Das liegt nicht am Alkohol, das fühlt sich anders an. Ihr fehlen Stunden ihres Lebens. Da ist nichts.

Als sie aus der Dusche kommt, sind ihre Freundin und der Mann wach. Sie wollen frühstücken gehen, Marie fühlt sich unwohl, lässt sich aber überreden. Nach dem Essen kehren sie zurück in die Wohnung, Marie ist immer noch schlecht, sie legt sich auf das Sofa.

Der Mann kommt dazu, streichelt sie an Arm und Bauch. Eine Berührung wie eine Ohrfeige. Ihre verschwommenen Erinnerungen täuschen nicht. Plötzlich fällt es ihr wieder ein, sie sieht die Szene vor sich, unerträglich klar. Sie erinnert sich an den Mann mit den blutunterlaufenen Augen, der mit Gewalt in sie eindringt. An seine dunklen Hände, mit denen er sie gegen ihren Willen festhält. Da ist sie sich ganz sicher. An den Versuch, sich zu wehren, aber wie gelähmt zu fühlen. An ihre Freundin, die nichts mitbekam und sich auch nicht erinnern kann.

Marie schreit den Mann an: "Was hast du getan?" Er schreckt zurück, sein Blick wird düster, er beschimpft Marie. "Du bist verrückt, du wolltest es doch auch", schreit er zurück.

Nein, diesen Schmerz hat sie nicht gewollt. Niemals.

Wenn Marie, 33, die Geschichte dieses Abends heute erzählt, dann macht sie kaum eine Pause. Keinen Satz führt sie richtig zu Ende. Es soll schnell vorbei sein. "Missbrauch oder Vergewaltigung", flüstert sie, "habe ich früher nie sagen können." Jetzt kann sie es, aber nur ganz leise.

Marie, dunkle Haare, kleine, schmale Figur, lebt heute in Berlin und arbeitet in einer Medienagentur. Erst kürzlich ist sie zur Teamleiterin befördert worden. Sie wohnt in einer Zweizimmer-Wohnung mit hohen Decken, liebt es, im Café gleich nebenan ein Stück Kuchen zu essen. Geht regelmäßig joggen.

So sieht Maries Alltag aus. Die meiste Zeit unbeschwert, wären da nicht die Alpträume. In letzter Zeit sind sie wesentlich seltener geworden. Weil Marie etwas gefunden hat, das sie stark macht.

Hast du Ähnliches erlebt? Hier findest du Hilfe

Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (Tel.: 08000 116016) bietet rund um die Uhr direkte kostenfreie Hilfe in 15 verschiedenen Sprachen an. Möglich sind auch Online-Beratungen.

Die Telefonseelsorge von evangelischer und katholischer Kirche ist unter Tel.: 0800 1110111 kostenfrei zu erreichen.

Speziell für muslimische Frauen bietet das Muslimische SeelsorgeTelefon kostenfreie Hilfe unter Tel.: 030 443509821.

Die Hilfsorganisation Caritas bietet Online-Beratungen und direkte Hilfe vor Ort: In vielen Städten betreibt die Caritas Beratungsstellen, an die du dich wenden kannst, wenn du persönliche Hilfe benötigst.

Opfer von Kriminalität und Gewalt können sich an den Weißen Ring wenden, der telefonisch und persönlich weiterhilft. Das bundesweite Opfer-Telefon ist aus jedem Ort Deutschlands ohne Vorwahl unter Tel.: 116006 zu erreichen.

Wing Tsun heißt die Kampftechnik, die der Legende zufolge vor rund 400 Jahren von einer zierlichen Frau in China erfunden wurde. "So klein wie ich bestimmt", sagt Marie.

Zwei Abende die Woche verbringt Marie mindestens im Studio. Hier zwischen Bodenmatten, Buddha-Figuren und Holzmännern kämpft sie mit Jugendlichen, die an ihren Schulen mit Gewalt zu tun haben, mit Männern, die einen Ausgleich zum Job suchen oder mit Frauen, die lernen wollen, Nein zu sagen und dieses auch durchzusetzen.

Marie kämpft gegen ihre Erinnerungen – darum, ihre Traurigkeit in Selbstbewusstsein umzuwandeln.

Die Übungen beginnen. Eine Trainingspartnerin greift Marie am Kragen ihres T-Shirts. Marie schlägt die Arme der Angreiferin herunter, knallt ihr die Hand gegen die Halsschlagader und boxt an das Kinn ihrer Gegnerin.

Als sie vor einem halben Jahr zum ersten Mal hierher kam, wollte Marie die anderen am liebsten nicht berühren. Aus Angst ihnen weh zu tun, aus Angst vor Nähe.

"Sie hat sich kaum getraut, einem die Hand zu geben, jetzt kommt sie richtig auf einen zu, freut sich, einen zu umarmen", sagt Micha*. Er ist Maries Trainer und eine wichtige Vertrauensperson.


"Missbrauch oder Vergewaltigung habe ich früher nie sagen können."
Marie
"Ihn umarme ich am liebsten, obwohl mir große Männer Angst machen. Aber er ist so eine gute Seele", sagt Marie und lacht. Das tut sie selten. Gleich in der zweiten Stunde hat Marie ihn gebeten, keine Übungen mitmachen zu wollen, bei denen sie auf dem Boden liegt und jemand anderes auf ihr. Sie deutete an, was in Singapur passiert war. Er stellte keine Nachfragen. Maries Bitte hat er noch nie vergessen.

Es heiße, nirgendwo lerne man jemanden so gut kennen, wie beim Küssen und beim Kämpfen, sagt Micha.

Den Menschen, den Marie ganz neu kennenlernt, ist sie selbst. Ihre Stärke. Denn ihren Gegner kennt Marie schon sehr genau, er steht ihr in Gedanken oft gegenüber. Immer mal wieder blitzen Erinnerungen auf, meist nachts, wenn Marie im Bett liegt. Wieso sind wir mit ihm gegangen? Habe ich auch Schuld daran? Immer wieder hat sich Marie diese Frage gestellt. "Nein", sagt sie. "Kein Mann darf diese Situation ausnutzen, geschweige denn eine Frau willenlos machen."

Vor einigen Wochen beim Training habe sie sich zum ersten Mal bei einer Übung ihren Vergewaltiger vorgestellt. Das düstere Gesicht, die lockigen Haare. Mit der flachen Hand schlug sie auf eine Pratze. Immer wieder. "Es hat richtig geknallt", sagt Marie. Da war sie endlich, die Wut, die sich Marie viel häufiger wünscht. Denn:

"Ich habe noch nie wegen damals geweint. Nur wenn ich etwas getrunken hatte."


„Ich fühle mich gefangen in meiner Angst."

Oppression

„Manchmal fühle ich mich, als ob ich keine Luft bekomme."

Fake Balance

„Ich war nicht in Balance, weil ich mich nicht bewegt habe“

Habitat

„Ich fühle mich in meiner Angst so gefangen."

Bodyshield

„Ich habe mich selbst isolert, ich habe niemandem erlaubt mich zu erreichen."

Disappear

„Ich wollte mich verstecken. Aber das ging nicht.“
1/7
Heute hat sie auch keinen Kontakt mehr zu der Freundin, die in der Nacht neben ihr lag. Die wollte zuerst nicht wahrhaben, was passiert war, dann machte sie sich Schuldvorwürfe, an ihr hatte der Mann sich nicht vergangen. Sie und Marie zerstritten sich.

Sexuelle Belästigung

Sexuelle Belästigung kann bei Anstarren beginnen, sie reicht von anzüglichen Bemerkungen, Belästigungen per Telefon oder Internet, Stalking, unerwünschten Berührungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen, einer Vergwaltigung. Eine von drei Frauen hat seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie der Europäischen Grundrechteagentur aus dem Jahr 2014. Demnach wurde einer von fünf Frauen nachgestellt, und jede zweite Frau war mit einer oder mehreren Formen der sexuellen Belästigung konfrontiert. 42.000 Frauen aus 28 Mitgliedstaaten der EU wurden dazu befragt.

Angezeigt hat Marie den Mann aus Singapur nie. "Ich hatte doch nichts, keine Adresse, keinen Namen, keine blauen Flecken – und einen Prozess hätte ich nie durchgestanden." Heute aber würde sie jeder Frau raten, es zu tun.

Sowieso würde Marie heute einiges anders machen. Zum Beispiel gleich ganz offener über alles reden. Zehn Jahre hat es gedauert. Warum?

"Ich glaube, es war die Angst davor, wie die Gesellschaft damit umgeht", sagt Rabea*. Sie ist Maries Zwillingsschwester und engste Vertraute. Das erkennt jeder Besucher in Maries Wohnung sofort. Bilder von ihr und Rabea stehen überall auf ihren Anrichten. Es gibt Tage, an denen telefonieren die beiden dreimal miteinander. "Wir hatten Angst davor, dass Marie eine Mitschuld gegeben wird. Man hat immer die Menschen im Ohr, die sagen: 'Wenn ihr Rock so kurz war und sie sich auf Getränke einladen lässt, ist sie doch selber Schuld'", sagt Rabea. Sie spricht oft von "Wir", als sei es auch ihr Schicksal.

Rabea war die erste, die Marie nach der Nacht in Singapur anrief. "Es ist etwas passiert, jemand hat mich angefasst", mehr konnte Marie damals nicht sagen. "Wir haben sogar erst überlegt, unserer Mutter gar nichts zu sagen", sagt Rabea, so groß war die Angst vor den Reaktionen. Bei Maries leiblichen Vater ist das bis heute so, die Eltern leben getrennt. Als Marie es der Mutter schließlich doch sagte, fing diese an zu weinen, nahm Marie in den Arm.

"Sie war überfordert, konnte nicht weiter nachfragen", erinnert sich Marie. "Ich wollte das auch nicht, ich habe immer zu ihr und meiner Schwester gesagt: 'Macht euch keine Sorgen, mir geht's gut.'" Alle Beschreibungen des Abends blieben kryptisch. Heute weiß sie: Das war falsch.


"Wir haben sogar erst überlegt, unserer Mutter gar nichts zu sagen"
Rabea
Wenig hat ihr in den vergangenen Jahren geholfen, nicht die Traumatherapie, nicht die Arbeit und auch nicht immer der verständnisvolle Freund, mit dem sie ein halbes Jahr nach der Nacht in Singapur zusammenkam.

Irgendwann nahm der Stress zu. Maries Magenschleimhäute entzündeten sich, fast zwei Jahre hatte sie mit Unverträglichkeiten zu kämpfen. Erst schob sie es auf die Arbeit. Aber dann sieht sie die wahre Ursache plötzlich überall. Da gibt es die Silvesternacht in Köln, den Prozess um Gina-Lisa Lohfink, die Diskussion um ein neues Sexualstrafrecht. Die Schuldzuweisungen an die Opfer, die Tabuisierung. "Da war alles wieder so präsent", sagt Marie.

Sie begriff: "Ich hatte noch nichts richtig verarbeitet."

Also suchte sie im Internet zunächst nach einer Therapeutin. "Frauen sind mir lieber, ich habe auch fast nur Freundinnen. Aber irgendwann dachte ich: 'Was ein Mann zerstört hat, muss auch ein Mann wieder heile machen.'" Seit einem Jahr nun besucht Marie einen Therapeuten, legt sich bei ihm auf eine Liege und erzählt. Er stellt keine Fragen, hört einfach zu. Neulich fragte Marie ihn, wann es endlich aufhören würde, weh zu tun.

Er antwortete: "Es wird immer schmerzhaft sein, aber du wirst lernen, damit umgehen zu können."

Da ist sich Marie jetzt auch sicher. Auch Rabea spürt eine Veränderung bei ihrer Schwester: "Sie ist viel offener. Früher zeigten ihr Blick oft nach unten, jetzt geht sie aufrecht."

In schwierigen Situationen denkt Marie an den Satz ihres Therapeuten und an Michas Übungen. So wie kürzlich in der S-Bahn, als ein betrunkener Mann sie im überfüllten Wagen immer wieder musterte. Von oben nach unten wanderte sein Blick an ihrem Körper entlang. Manchmal stoppte sein Blick auf Brusthöhe.

Dann sprach er sie an, fragte nach der Uhrzeit. Erst tat Marie so, als verstehe sie seine Frage nicht, antwortete dann kurz. Es dauerte einige Sekunden, dann sprach der Mann sie wieder an.

Dieses Mal reichte es Marie. "Ich will nicht mit dir reden", sagte sie laut. Selbst überrascht davon, wie laut.

*Alle Namen wurden für diesen Text geändert, damit die Personen anonym bleiben.

http://www.bento.de/gefuehle/vergewaltig...-reden-1395969/


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RE: Hilfe für Betroffene

#87 von Christine , 06.06.2017 13:56

Ich wurde von einer Frau missbraucht, aber niemand hat mir geglaubt
Refinery29 | von Vesna Stone
Veröffentlicht: 06/06/2017 11:18 CEST Aktualisiert: Vor 21 Minuten GIRL ALONE SCARED

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei Refinery29.

Es ist gar nicht so lange her, da war ich ein 13-jähriges, naives Mädchen - queer noch dazu, aber das hatte ich noch niemandem gesagt. Es fühlt sich an, als hätte ich seitdem ein ganzes Leben verlebt.

Zu der Zeit wohnte ich noch in einem traditionellen Haushalt. Ich hatte eine wilde Vorstellungskraft und einen unstillbaren Durst für die Welt da draußen. Das alles änderte sich von einem Tag auf den anderen, als ich eine Frau kennenlernte, die schnell mein Vertrauen gewann - und mich schließlich meiner Unschuld beraubte.

Nicht alle Pädophile sind glatzköpfige, bärtige Männer

Es fing alles damit an, dass ich für einen Familienurlaub packte. Meine Mutter teilte mir mit, dass ich das Zimmer mit meiner Freundin und ihrer älteren Verwandten teilen würde. Ich war sofort abgetörnt von dem Gedanken daran, mein Zimmer mit Erwachsenen teilen zu müssen, aber als eher optimistischer Pre-Teen war ich entschlossen, trotzdem die beste Woche meines Lebens zu haben.

Als es soweit war, war ich schon so aufgeregt, dass ich die Flure entlang rannte und mein Zimmer suchte. Ich steckte den Schlüssel in die Tür und rannte ins Zimmer, um meine Freundin zu umarmen, die mit ihrer Tante bereits angekommen war - eine Frau um die 30 mit langen Haaren, grünen Augen und einem Lächeln, das ich nie wieder vergessen werde.

Diese vermeintlich harmlose Frau, die ich gerade beschrieben habe? Sie ist pädophil.

Nicht alle Pädophile sind glatzköpfige, bärtige Männer, die Kindern Schokolade anbieten oder sie im Supermarkt ansprechen. Mit 13 Jahren war ich darauf vorbereitet worden, vor genau solchen Typen wegzurennen, aber nicht vor dieser Frau. Sie schien einzigartig zu sein, und sie faszinierte mich. Ich wollte ihr bis ans Ende aller Tage zuhören - so charismatisch redete sie. Ihre Körpersprache war so einladend, dass ich für immer bei ihr bleiben wollte.

Obwohl die Anzeichen von Missbrauch da waren, ignorierte ich sie

Innerhalb von sechs Monaten hatte sie das Vertrauen meiner Eltern und mir gewonnen. Sie nahm mich mit ins Einkaufszentrum, führte mich zum Mittagessen und ins Kino aus - wir gingen überall hin, wo 13-Jährige eben gerne hingehen wollen. Ich habe sie fast fünf Mal pro Woche gesehen.

Meine Sexualität verwirrte mich und das hat sie für sich ausgenutzt.

? Mehr zum Thema: Sexueller Kindesmissbrauch - interessiert es denn niemanden?

Sie erzählte mir oft, dass niemand mich so verstehen würde wie sie, und dass sie so gerne in einer Beziehung wäre. Alles, was ich wollte, war Liebe, und sie löste in mir das Gefühl von Schmetterlingen im Bauch aus. Wir fingen an, uns gegenseitig "Ich liebe dich” zu sagen. In meinem jugendlichen Kopf glaubte ich wirklich und ehrlich, verliebt zu sein. Sie hatte eine seltsame Macht über mich; ihr Wunsch war mein Befehl. Nichts anderes auf der Welt zählte noch.

Obwohl die Anzeichen von Missbrauch da waren, ignorierte ich sie. Ich hatte das Konzept von Missbrauch noch nicht richtig verstanden, aber ich verstand durchaus, was richtig und was falsch war - und ich wusste, dass das alles nicht gerade als richtig durchgehen konnte. Das fing etwa einen Monat nach unserer ersten Begegnung an, da zwang sie mich, sie zu küssen. Innerhalb von sechs Monaten wurde meine unschuldige Schwärmerei zu einer dunklen und gewalttätigen Angelegenheit.

Nachdem ich monatelang ihre sexuellen Avancen und tastenden Hände abzuwehren versuchte, wurde sie manipulativ und beschimpfte mich verbal, sodass ich sie irgendwann ließ.

Sie sagte Dinge wie "Es ist egal, was du willst” und "Das ist okay, weil ich dich liebe.”

Ich kann noch die Narben sehen, die sie an meinem Körper hinterlassen hat

Sie zwang mich, mit ihr Sex zu haben, und manchmal brachte sie andere Erwachsene - immer Männer - ins Spiel. Wenn diese Männer dabei waren, war ich viel weniger kooperativ. Ich hatte mich eh fremden Männern gegenüber unwohl gefühlt, ganz besonders gegenüber denjenigen, die sie kannte (eben jene glatzköpfigen Typen mittleren Alters), vor denen ich hätte wegrennen sollen.

Das erste Mal, als das passierte, dachte ich wirklich noch: Das ist mein schlimmster Albtraum. Ich habe tagelang danach noch geweint und darüber nachgedacht, mich selbst umzubringen. Ich hatte meine Belastungsgrenze erreicht und ich wusste, dass etwas mit dieser Situation absolut nicht in Ordnung war.

Mein Widerstreben machte sie wütend, und sie nutzte diese Wut, um mich zu verletzen. Ich kann heute immer noch die Narben sehen, die sie an meinem Körper hinterlassen hat. Handabdrücke dort, wo sie mich würgte; Kratzer, Schnitte und Wunden dort, wo ich mich wehrte; und die selbst zugefügten Wunden da, wo ich mich für sie unattraktiv machen wollte. Aber zu der Zeit konnte auch die härteste Selbstverstümmelung eine machtbesessene Pädophile nicht zurückhalten.

Der einzige Ausweg, der sich für mich anbot, war Selbstmord

Ich fühlte mich komplett alleine. Ich wusste, dass ich nur aus dieser Missbrauchssituation herauskam, wenn ich jemandem davon erzählte, aber sie hatte mir eingetrichtert, dass sie nie wieder mit mir reden würde, wenn ich “unser Geheimnis” lüftete. Ich war jung, verwirrt und dachte, dass ich tun müsste, was eine Erwachsene - also sie - mir sagt.

Der einzige Ausweg, der sich für mich anbot, war Selbstmord. Ich war 14 und ich dachte, es sei besser zu sterben, als eine Person zu enttäuschen, die mir sagte, dass sie mich liebte. Ich fing an, nach dem Auto zu suchen, vor das ich mich werfen könnte; oder nach einer Brücke für meinen letzten Sprung. Diese Selbstmordgedanken hielten noch Jahre nach dem Missbrauch an.

Die 11 Monate sexueller, physischer und verbaler Vergewaltigung kamen zu einem abrupten Ende, als ich versucht habe, einem Familienmitglied davon zu erzählen. Ich hatte damals noch nicht das Vokabular, um richtig zu beschreiben, was mit mir gemacht wurde - und ich hatte furchtbare Angst, Ärger zu bekommen.

Also habe ich die Geschichte ein bisschen schöngeredet und erzählt, dass sie und ich in einer “Beziehung” seien. Ich wollte so diskret wie möglich sein, also habe ich nie etwas von den sexuellen Übergriffen erzählt, und nur gesagt, dass wir Händchen hielten.

? Mehr zum Thema: Ein Brief an den Mann, der versucht hat, mich zu vergewaltigen

Die meisten haben mir die Schuld gegeben

Es war nur eine Frage der Zeit bis ein großer Teil meiner Familie - sowohl der kleine als auch der erweiterte Kreis - die Geschichte kannten, oder zumindest dachten, die Geschichte zu kennen. Die meisten haben schnell irgendwelche Anschuldigungen ausgesprochen und mir die Schuld gegeben. Ich wurde als emotional labil, als Lügnerin, als dramatisches Kind und verzweifelt nach Aufmerksamkeit bezeichnet.

Wieder wurde mir von Erwachsenen gesagt, ich sollte ruhig sein, also blieb ich ruhig.

Sobald die Geschichte über unsere Beziehung ans Licht geraten war, hörte ich nie wieder etwas von ihr. Aus einem energetischen, glücklichen Kind wurde ein ängstliches, stummes Wesen, das mit niemandem mehr redete. Ich dachte: wenn ich rede, dann hören die Menschen meine Scham und die Schuld, die ich in mir spürte. Ich wurde selbst-destruktiv und fiel in das tiefe Loch der Drogensucht.

Meine Vergewaltigerin ist einfach davon gekommen, während ich bloßgestellt und beschämt wurde. Ich machte es den Erwachsenen in meinem Leben nach und gab mir selbst die Schuld.

Verschreibungspflichtige Medikamente und Selbstverstümmelung lösten bei mir Erleichterung aus. Niemand redete mit mir darüber, was passiert war; ich blieb im Dunkeln zurück, mit einem gebrochenen Herzen und vielen unbeantworteten Fragen. Ich hatte nie richtig verstanden, dass ich sexuell missbraucht worden war.

Es hat Jahre gedauert, bis ich den Verlust meiner "ersten Liebe” verkraftete; bis ich verstand, dass das Vergewaltigung war. Ich wollte nur diese Liebe nochmal spüren. Ich fühlte mich einsamer als je zuvor. Ich ritzte mich, um Kontrolle über meinen Schmerz zu bekommen, und nahm Tabletten, um die Leere in mir zu betäuben.

Über meine Erfahrungen zu reden half mehr als alles andere

Einige Jahre später starb ein Verwandter wegen Drogenmissbrauch - da wurde ich von der Realität des Lebens eingeholt. Ich verstand, dass Schmerztabletten niemals mindern konnten, was ich innerlich fühlte. Ich musste das alles anders bewältigen. Also nahm ich Kontakt zu einigen engen Verwandten auf und erzählte ihnen ganz genau, was mir passiert war.

Sie wurden zu meinen tragenden Säulen, als ich von meinen Süchten herunter kam. Der Entzug von den Tabletten war schmerzhaft und schwierig, aber am Ende bin ich mit 18 Jahren in ein drogenfreies Leben eingetreten. Ich fühlte mich immer noch verloren, aber ich war entschlossen, ein sinnvolles Leben zu führen.

Ich hatte Glück, so viel Unterstützung von den Menschen um mich herum zu finden. Über meine Erfahrungen zu reden half mehr als alles andere. Nachdem ich mein Schweigen endlich gebrochen hatte, setzte ich mir kurzfristige Ziele für mich selbst. Mit jeder überwundenen Herausforderung fühlte sich mein Leben sinnvoller an.

Ich fand schon bald eine Leidenschaft, die mich voran trieb und startete eine Karriere in der Schönheitsindustrie. Ich merkte, dass ich Menschen gerne dabei half, schöner auszusehen und sich auch schön zu fühlen. Nichts lässt sich mit dem Gefühl vergleichen, dass ich habe, wenn Kunden mit einem Lächeln aus dem Laden treten.

Ich arbeite jeden Tag daran, mich selbst zu heilen

Insgesamt war es mein unterstützendes Netzwerk und mein eigenes Drängen darauf, die Komfortzone zu verlassen, was mir am meisten bei meinem Glück geholfen hat. Es hat danach nicht lange gedauert, bis ich mich wieder selbst lieben konnte. Das kam, als ich einfach das Glück nicht finden konnte. Irgendwann habe ich verstanden, dass man Glück auch überhaupt nicht findet, sondern dass es in einem selbst drin steckt.

Um es aber für sich selbst nutzen zu können, muss man lernen, sich selbst die Liebe und das Verständnis zu schenken, die man in den dunklen Jahren verloren hatte.

Ich bin kein Teenager mehr und frage mich ständig, wie ich es durch den Missbrauch und die nachfolgende Zeit eigentlich geschafft habe. War es nur Glück? Oder hat mir das Universum irgendwie mitgeteilt, dass mein Sinn auf Erden noch nicht gefunden war? Ich glaube daran, dass es das Letztere ist.

Obwohl meine Vergewaltigerin immer noch auf freiem Fuß ist und es immer noch Leute aus meiner eigenen Familie gibt, die mir nicht glauben wollen, arbeite ich jeden Tag daran, mich selbst zu heilen. Ich möchte in der Lage sein, jungen Frauen und Mädchen wie mir zu helfen, indem ich meine Überlebensgeschichte teile. Auf diese Art und Weise kann ich vielleicht jemanden berühren, der sich genauso verlassen und ungeliebt gefühlt hat wie ich damals.

? Mehr zum Thema: An alle, die missbrauchte Frauen zu Tätern machen

Ich bin kein Opfer mehr. Ich bin eine Überlebende

Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, meine Wunden seien komplett geheilt. Ich frage mich oft, ob es jemals einen Tag geben wird, an dem ich nicht an sie und an das, was passiert ist, denken werde. Wenn ich an den Orten vorbei laufe, an denen sie mich missbraucht hat oder wenn ich das Auto sehe, das sie fuhr. Wenn ich bestimmte Songs höre oder Parfüms rieche, kriege ich ganz schlimme Flashbacks und fürchterliche Panikattacken.

Und ich habe immer noch Albträume.

Aber ich weigere mich, von diesen Dingen zurückgehalten zu werden. Ich werde ihr diese Macht nicht geben. Wenn ich zurückblicke und sehe, wie weit ich es inzwischen geschafft habe, dann merke ich, wie viel Macht ich tatsächlich habe - so, als könnte ich die Welt eines Tages erobern.

Ich bin kein Opfer mehr. Ich bin eine Überlebende. Der Missbrauch definiert mich nicht, aber das Bewältigen meiner Erfahrungen hat mir die Kraft gegeben, meine Geschichte zu erzählen und anderen Überlebenden zu sagen: Du bist nicht alleine!

*Der Name der Autorin wurde von der Redaktion geändert.

http://www.huffingtonpost.de/2017/06/06/...many&ir=Germany


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Christine
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RE: Hilfe für Betroffene

#88 von Christine , 08.06.2017 09:57

Wir müssen reden
Warum tut ein Mann das?


Täglich werden Frauen vergewaltigt. Der Sexualtherapeut Ulrich Clement erklärt männliche Gewaltfantasien, wann sie Wirklichkeit werden und was man dagegen tun kann. Von Wenke Husmann
7. JUNI 2017, 16:25 UHR

ZEITmagazin ONLINE: Laut deutscher Kriminalstatistik haben im Jahr 2016 knapp 8.000 Frauen eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung angezeigt. Das sind mehr als 20 Fälle pro Tag. Zwei Prozent der Frauen, das belegt eine EU-weite Studie, wurden nach eigener Aussage während der vergangenen zwölf Monate Opfer sexueller Gewalt. Auch wenn diese Zahlen unscharf sind: Es sind viel zu viele Frauen. Die Frage ist: Warum tun Männer das?

Ulrich Clement: Hinter der Bosheit steckt Schwäche. Es ist der Versuch, ein unsicheres männliches Selbstbild durch aggressive Handlungen zu kompensieren. Diese Männer fühlen sich durch eine konkrete Frau oder durch angehäufte Erfahrungen gekränkt oder in ihrem Stolz und ihrer Männlichkeit infrage gestellt. Ein selbstbewusster Mann vergewaltigt nicht – der braucht das nicht. Der sexuelle Akt ist in einer Vergewaltigung nicht nur Triebbefriedigung, sondern er ist Unterwerfung, Erniedrigung, weil der Mann, indem er erniedrigt, sich selbst über die Frau stellt.

ZEITmagazin ONLINE: Welches verzerrte Bild von Männlichkeit steckt dahinter?

ULRICH CLEMENT
Prof. Dr. Ulrich Clement ist systemischer Paartherapeut und Sexualforscher. Sein Buch Think Love. Das indiskrete Fragebuch erschien 2015 bei Rogner & Bernhard, gerade hat er Dynamik des Begehrens im Carl-Auer Verlag veröffentlicht. In Heidelberg betreibt Ulrich Clement eine Privatpraxis für Coaching, Paar- und Sexualtherapie.

Clement: Ein unflexibles, sehr empfindliches. Die Kränkbarkeit von Männern sollte man nicht unterschätzen.

ZEITmagazin ONLINE: Sie sind leichter zu kränken als Frauen?

Clement: Ihre Kränkbarkeit ist nicht generell größer als bei Frauen, aber in Bezug auf ihre Geschlechtlichkeit sind Männer anfälliger für Kränkung als Frauen. Der Satz "Du bist kein richtiger Mann" ist, im Durchschnitt gesprochen, für Männer schlimmer als für Frauen der Satz "Du bist keine richtige Frau".

ZEITmagazin ONLINE: Warum ist das so?

Clement: Die Psychologie liefert dazu eine recht plausible Erklärung: Männlichkeit entsteht sekundär. Männer werden, psychologisch betrachtet, erst dadurch zu Männern, dass sie sich von Frauen abgrenzen. Weibliche Gefühle und Verhaltensweisen müssen sie dann für sich ablehnen, weil sie als bedrohlich für die männliche Identität erlebt werden. So sind sie in der Pubertät gegenüber Müttern eher ruppig, sie haben eine Verachtung für weibliche Eigenschaften, sie verhalten sich homophob. Kurz: Männlichkeit basiert auf der Ablehnung von Weiblichkeit. Damit gehen Männer natürlich unterschiedlich um – es vergewaltigen ja die wenigsten.

ZEITmagazin ONLINE: Wenn man davon ausgeht, der Aggression gehe eine Kränkung voraus, soll dann das Verhalten der Frau eine Rolle spielen?

Clement: Nein, denn das Gefühl der Kränkung liegt immer im Auge des Betrachters. Vielleicht wollte die Frau beispielsweise einfach ihre Ruhe und hat das gesagt. Nicht um zu kränken, sondern um sich abzugrenzen. Der Mann kann das dennoch als Erniedrigung erleben.

ZEITmagazin ONLINE: Geht es immer um sexuelle Zurückweisung?

Clement: Nein. Es kann auch eine ganz andere Vorgeschichte zugrunde liegen, beispielsweise eine Kränkung im Beruf. Vom Chef gedemütigt zu werden, in einer Verlierersituation zu stecken oder zu fürchten, in eine Verlierersituation zu geraten, kann gleichfalls zu Rachegefühlen führen.

ZEITmagazin ONLINE: Sind denn immer Unterlegenheitsgefühle im Spiel?
Clement: Nein. Auch ranghohe Männer können diesbezüglich ganz schön borniert sein. Sie leben in dem Bewusstsein, besonders überlegen und wertvoll zu sein. Das macht sie blind für ihr Gegenüber, und sie holen sich das, von dem sie meinen, es stünde ihnen zu. Das muss nicht gleich eine Vergewaltigung sein, das fängt schon bei übergriffigem Anfassen an. Diese Männer nutzen ihre vermeintliche soziale Überlegenheit aus und sexualisieren sie.

ZEITmagazin ONLINE: In rund der Hälfte der Fälle von sexueller Gewalt wird diese vom Partner ausgeübt, manchmal leben die Opfer sogar schon länger in solchen Beziehungen. Wie kann diese gewaltvolle Form der Sexualität Bestand haben?

Clement: Diese erotisierte Niedertracht ist in Paarbeziehungen alltäglicher, als man denkt. Es gibt zum Beispiel auch ein Nötigen und Drängen nach dem Motto: "Du musst dich mir sexuell erkenntlich zeigen, weil ich das Geld bringe und ich für die Familie sorge." Das ist zwar keine Vergewaltigung, aber natürlich eine Form der strukturellen Gewalt, legitimiert durch eine fantasierte hierarchische Überlegenheit.

ZEITmagazin ONLINE: Das erinnert daran, dass Vergewaltigung in der Ehe lange kein Straftatbestand war.

Clement: Ja, erst seit 1997. Bis dahin wurden Nötigung und Vergewaltigung rechtlich getrennt betrachtet und bestraft, und aus juristischer Sicht gab es innerhalb der Ehe lediglich Nötigung.

ZEITmagazin ONLINE: Eine besonders böse Form von sexueller Gewalt gegen Frauen sind systematische Vergewaltigungen in Kriegssituationen wie beispielsweise in Ruanda, Bosnien oder bis heute im Kongo. Auch hier die Frage: Wie erklärt sich das?

Clement: Der Einzelne ist in diesem Fall vor allem Teil einer stark hierarchisch organisierten männlichen Gruppe, in der gruppendynamische Prozesse ablaufen, die ihn dann tatsächlich zum Mitmachen bringen oder zwingen – selbst wenn er das als Individuum nicht wollte. Der Zweck dieser Form der Kriegsführung ist es, die Überlegenheit über den Gegner zu demonstrieren, indem man die Frauen demütigt – und deren Männer. Die werden hier in ihrer Ohnmacht vorgeführt: "Du kannst deine eigene Frau nicht beschützen."

ZEITmagazin ONLINE: Das erklärt, warum diese Form der Vergewaltigung häufig vor den Augen der unterlegenen Männer geschieht.

Clement: Ja, der gesamte familiäre Zusammenhalt soll zerstört werden.

ZEITmagazin ONLINE: Andererseits werden diese Vergewaltigungen auch explizit als "Belohnung" und "zur Stärkung der Moral der Truppe" angeordnet.

Clement: Das ist wie bei Plünderungen: Man hat ein Gebiet eingenommen und anschließend gehört einem alles. Wie in einer Art Rausch wird die eigene Grandiosität und Macht exerziert, was für manche auch sexuell erregend ist. Dieser Potenzrausch kann sich dann jeder Kontrolle entziehen. Dabei spielt natürlich auch eine Rolle, dass diese Männer ihrerseits stark unter Druck stehen. Es gingen Kämpfe voraus, man stieß auf Widerstand, Verluste mussten hingenommen werden. Die Männer waren in belastenden Situationen und lange von zu Hause weg. Da kann so eine Tat als Belohnung aufgefasst werden.

ZEITmagazin ONLINE: Es ist dennoch schwer nachzuvollziehen, wie ein Mann so weit gehen kann, zumal Sie eben selbst gesagt haben: "obwohl er das als Individuum nicht wollte".

Clement: Das ist ein sozialpsychologisches Phänomen und nicht nur individuell zu erklären. Die Mechanismen sind die gleichen, wie bei den berühmten Milgram-Experimenten: Die belegten bereits in den 1960er Jahren, dass ein Einzelner durchaus Anweisungen Folge leistet, die seinem Gewissen widersprechen, solange er dem Anweisenden eine hohe Autorität einräumt. In dem Experiment erteilten die Probanden einer nicht sichtbaren Person für falsche Antworten schmerzhafte Stromstöße, weil es ein Versuchsleiter von ihnen verlangte. Das Entscheidende ist dabei, dass der Handelnde die Autorität dessen, der die Befehle erteilt, anerkennt. Ist das so, dann sind Einzelne offenbar in der Lage, ihre eigene moralische Instanz, die sie durchaus besitzen, auszuschalten. Das Verrückte ist also nicht, dass die Vergewaltiger keine innere moralisch Instanz hätten, sondern dass diese situativ von einer als Autorität anerkannten Person außer Kraft gesetzt werden kann.

ZEITmagazin ONLINE: Erklärt das auch Gruppenvergewaltigungen? Dabei begehen mehrere Männer gemeinsam ein schweres Verbrechen, zu dem der Einzelne womöglich gar nicht bereit gewesen wäre.

Clement: Ja. Das Gemeinschaftsgefühl der Männergruppe ist dann stärker als das individuelle Gewissen.

ZEITmagazin ONLINE: Worin unterscheiden sich spielerische Formen von Dominanz und Unterwerfung – beispielsweise die SM-Praktiken eines Paares – von Gewalt?

Clement: Sie unterscheiden sich grundlegend! Der entscheidende Punkt ist, dass es bei Sadomasochismus um konsensuellen, also einvernehmlichen Sex geht. SM funktioniert nur – und dieses gilt es sehr zu betonen –, wenn allen Beteiligten klar ist, dass es um ein Spiel geht, dass es eine Als-ob-Situation ist, und dass es klare Regeln gibt wie beispielsweise Stopp-Wörter und Ausstiegsmöglichkeiten, die es bei einer realen Vergewaltigung so nicht gäbe. Erfahrungsgemäß können BDSM-Spiele deswegen nur Menschen praktizieren, die keine traumatischen Erfahrungen haben. Traumatisierte können gegebenenfalls diese Unterscheidung, was Spiel und was echt ist, nicht mehr zuverlässig treffen. Abgesehen davon zeichnen sich sadomasochistische Unterwerfungsspiele nicht durch Gewalt aus. Von Gewalt kann man nur sprechen, wenn sie gegen den anderen gerichtet ist, der also nicht einverstanden ist. Kurz: Sadomasochismus mag ähnlich aussehen, ist aber etwas völlig anderes.

ZEITmagazin ONLINE: Wie geläufig sind unter Männern Fantasien, in denen sie eine Frau zum Sex zwingen?
Clement: Hier muss man wieder unterscheiden. Dominanzfantasien gibt es häufig. Nach einer amerikanischen Studie von 2015 haben 60 Prozent der Männer solche Fantasien. Gewalt indes als Element, das den entscheidenden Kick gibt, das geben in derselben Studie nur noch 22 Prozent der Männer an. Aber auch 11 Prozent der Frauen. Interessant ist, dass beide Formen häufig korrelieren mit Fantasien von Unterwerfung beziehungsweise mit Fantasien, zum Sex gezwungen zu werden. Diese beiden Fantasiekomplexe, "Dominanz/Gewalt" und "Unterwerfung/zum Sex gezwungen werden", schließen sich also typischerweise nicht aus, und man kann davon ausgehen, dass sie lediglich Ausdruck sexueller Offenheit sind. Im Umkehrschluss drückt das Vorhandensein solcher Fantasien nicht notwendigerweise ein inakzeptables sexuelles Interesse aus. Um überhaupt einen Anhaltspunkt für eine psychische Störung zu liefern, ist weniger der Inhalt der Fantasien relevant als vielmehr deren Intensität und vor allem ihre Unabdingbarkeit. Das heißt, es kommt darauf an, wie notwendig ein Mann die Gewaltfantasie braucht, um sich sexuell zu erregen.

ZEITmagazin ONLINE: Das klingt dennoch verstörend, vor allem wenn man der These anhängt, dass Fantasien der Anfang einer Tat sein können.

Clement: Ja, diese Diskussion wird ja auch bei der Wirkung von Gewaltdarstellungen – beispielsweise in Filmen – geführt. Es ist allerdings nicht zwingend, dass jemand seinen Fantasien auch Taten folgen lässt.

ZEITmagazin ONLINE: Wovon hängt das ab?

Clement: Ob ein Mann unterscheiden kann zwischen dem, was ihn in der Fantasie erregt, und dem, was er in der Realität mit einer Partnerin tun kann. Empathie für das Gegenüber gehört dazu. Ein psychisch gesunder Mensch setzt einen Puffer zwischen Gedanken und Handlung. So einen Puffer braucht jeder in vielen Situationen. Bei manchen Persönlichkeiten kann er allerdings beeinträchtigt sein, mit den entsprechenden Folgen für gewalttätiges Verhalten.

ZEITmagazin ONLINE: Wie sollte ein Mann also damit umgehen, wenn er merkt, dass ihn die Vorstellung erregt, eine Frau zum Sex zu zwingen?

Clement: Man muss unterscheiden, um welche Form von Fantasien es hier geht. Es gibt ja einerseits fantasierte Vorstellungen, die man sich bewusst herbeiholen kann, und andererseits Fantasien, die einen überfallen und ängstigen können. Für Männer, die vor dem Bösen erschrecken, das sie in sich spüren, bieten sich durchaus Hilfsprogramme an wie die Ambulanz für Männer mit Gewaltfantasien in Hannover. Problematisch sind diejenigen, die dieses Erschrecken nicht spüren. Affektisolierung nennt man das in der Psychotherapie. Wir kommen an diesem Punkt wieder auf die soziale Intelligenz zurück: Man muss die Motive und die Stimmung des Gegenübers erkennen und sie in sein Handeln einbeziehen können. Das ist für Sexualität schlicht unabdingbar. Wenn einer über dieses Minimum an sozialer Intelligenz nicht verfügt, kann es bedrohlich werden.

ZEITmagazin ONLINE: Wenn einen Mann seine Fantasien ängstigen, hat er dann gute Chancen, dass ihm mit Angeboten wie etwa der Ambulanz in Hannover geholfen werden kann?

Clement: Ja. Solche präventiven Programme sind jung, aber es gibt gute Statistiken, beispielsweise aus Untersuchungen des forensischen Psychiaters Frank Urbaniok, die belegen, dass sich das Therapieren von Sexualstraftätern lohnt. Das ist eine wichtige Botschaft. Prävention ist sinnvoll. Bei einem solch emotional aufgeladenen Thema besteht leider die Gefahr, dass man alle vereinheitlicht. Aber auch Vergewaltiger oder potenzielle Täter sind unterschiedlich.

ZEITmagazin ONLINE: Inwiefern?

Clement: Es kommt auf den Charakter des Betreffenden an, also ob er grundsätzlich gewaltaffin ist oder noch über psychische Reserven und Kompetenzen verfügt, die das ausgleichen können. Im günstigen Fall sind diese sozialen Kompetenzen entwickelbar. Und deshalb ist auch die für Therapeuten mühsame Arbeit sowohl in der Prävention als auch mit verurteilten Sexualstraftätern sinnvoll, auch wenn sie natürlich sexuelle Gewalt nicht aus der Welt schafft.

http://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/20...tigung-therapie


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RE: Hilfe für Betroffene

#89 von Christine , 29.06.2017 14:01

Frankfurter Projekt bietet Opfern anonyme Hilfe
Frauennotruf: Soforthilfe nach Vergewaltigung
28.06.2017
VON CHRISTIAN SCHEH

Frauen, die vergewaltigt wurden, den Täter aber nicht anzeigen möchten, können sich in Frankfurt vertraulich an elf Kliniken wenden. Deren Ärzte leisten medizinische Soforthilfe und sichern auf Wunsch auch Befunde für eine mögliche spätere Strafverfolgung. Initiiert hat das Angebot, das keineswegs selbstverständlich ist, die Frankfurter Beratungsstelle Frauennotruf.
Das Projekt „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ wird seit Monatsbeginn auf Frankfurter Linienbussen beworben. Das Projekt „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ wird seit Monatsbeginn auf Frankfurter Linienbussen beworben.

Frankfurt.
Früher scheuten Vergewaltigungsopfer, die den Täter nicht anzeigen wollten, den Weg in die Arztpraxis oder das Krankenhaus. Sie befürchteten, dass ein Mediziner die Polizei einschalten und es zu einer Strafanzeige „über ihren Kopf hinweg“ kommen könnte. Die Folge: Die körperlichen und psychischen Verletzungen der betroffenen Frauen blieben unbehandelt. Ohne eine sofortige Sicherung von DNA-Spuren fehlte außerdem eine wesentliche Grundlage für eine potenzielle spätere Strafverfolgung des Sexualstraftäters.

Werbung auf Bussen

Das Projekt „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“, das derzeit mit neun Quadratmeter großen Tafeln auf zwei Linienbussen beworben wird, hat die Situation von Vergewaltigungsopfern deutlich verbessert. Es bietet betroffenen Frauen eine vertrauliche medizinische Akutversorgung in fast allen Frankfurter Krankenhäusern – die einzige Ausnahme ist das Hospital zum Heiligen Geist. Die Opfer können sich in den Krankenhäusern behandeln lassen. Außerdem können sie entscheiden, ob für den Fall, dass sie sich doch noch zu einer Strafanzeige entschließen, ihre Verletzungen (zum Beispiel Hämatome) dokumentiert und Spuren (zum Beispiel Sperma) gesichert werden sollen.

Träger des Frankfurter Projekts, dem sich inzwischen mehrere Städte und Regionen angeschlossen haben, ist die Beratungsstelle Frauennotruf mit Sitz im Ökohaus in Bockenheim. Projektkoordinatorin Andrea Bocian glaubt, dass die vertrauliche medizinische Akutversorgung keine strafvereitelnde Wirkung hat. „Wir erreichen mit dem Angebot Frauen, die sonst nirgendwo hingehen würden.“ Bocian hält es für wahrscheinlich, dass das Projekt die Zahl der Strafverfahren sogar steigert, weil immer wieder Frauen die Möglichkeit zur Spurensicherung und zu einer späteren Strafanzeige nutzen.

Bogen zur Dokumentation

Der Verein Frauennotruf stattet die Krankenhäuser mit mehrseitigen Dokumentationsbögen und außerdem mit Kisten aus, in denen vom Röhrchen für Flüssigkeiten bis hin zum Tütchen für Kleidungsfetzen alles steckt, was für eine Befundsicherung erforderlich ist. Die Spuren werden in das Frankfurter Institut für Rechtsmedizin gebracht und dort für ein Jahr aufbewahrt. So lange können sich die Frauen überlegen, ob sie doch noch Strafanzeige erstatten und ein Verfahren anstoßen wollen.

Die Beratungsstelle Frauennotruf bietet kostenlos Gespräche für Vergewaltigungsopfer an. Diese können vollkommen anonym bleiben, wenn sie das möchten. „Wir versuchen, die Frauen bestmöglich zu informieren“, sagt Bocian. „Wie will ich weiter vorgehen? Wer kann mich unterstützen? Welche Rechte habe ich?“ Diese und viele andere Fragen können die Opfer im Gespräch mit Bocian und ihren drei hauptamtlichen Kolleginnen des Frauennotrufs klären. Falls nötig, verweist das Team auch an andere Stellen.

Im Jahr 2016 hat die Beratungsstelle nach Bocians Angaben 156 Anfragen zum Thema Vergewaltigung registriert. Die medizinische Akuthilfe hätten 35 Frauen in Anspruch genommen. Ein Großteil der Täter komme aus dem persönlichen Umfeld der Opfer. „Viele Frauen wollen deshalb erst einmal nicht anzeigen“, berichtet Bocian. Dem Frauennotruf gehe es darum, die Vergewaltigung aus der gesellschaftlichen Tabuisierung herauszuholen. Deshalb werde das Wort „Vergewaltigung“ auch bei der aktuellen Buskampagne in Frankfurt (siehe Foto) klipp und klar genannt.

http://www.fnp.de/lokales/frankfurt/Frau...;art675,2688775


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RE: Hilfe für Betroffene

#90 von Christine , 18.06.2018 10:06

16. Juni 2018 17:11 Uhr
Mit Trauma umgehen
Brief an mein 18-jähriges Ich - fast zehn Jahre nach meiner Vergewaltigung
"Du hattest keine Schuld": In einem offenen Brief wendet sich unsere Autorin an ihr 18-jähriges Ich, viele Jahre nachdem sie eine Vergewaltigung erlebt hat. Sie möchte damit anderen Betroffenen Mut machen - und sich ihre Geschichte zurückholen.

Trigger-Warnung: In diesem Text wird eine Vergewaltigung beschrieben, was für manche Menschen retraumatisierend wirken kann. Wenn du Opfer einer Gewalttat geworden bist, kannst du dich jederzeit an einen Arzt wenden. Hilfe und Beratung findest du auch telefonisch und im Netz.

"Mein liebes 18-jähriges Ich,

bevor ich irgendetwas anderes sage, möchte ich, dass du eines weißt: Ich bin nicht sauer auf dich. Das war ich eine Zeit lang. Ich habe dich verflucht für deine Feigheit, über deine Angst geschimpft. Aber inzwischen weiß ich, dass das nichts bringt. Wir müssen zusammenhalten, wir zwei. Und damals wusstest du es einfach nicht besser.

Damals hast du all denen geglaubt, die dir die Schuld gegeben haben. Die dich eine Schlampe genannt haben. Die sich von dir weggesetzt haben. Die am anderen Tisch lauthals über dich gelacht haben. Die selbst dann noch mit dem Finger auf dich zeigten, wenn du weinend vor ihnen standest. Das ist nicht feige, das ist ganz natürlich. Das ist Selbstschutz.

Junge Frau liegt im Bett

Heute weiß ich für uns beide, dass sie im Unrecht waren. Dass sie kein Anrecht darauf hatten, dich zu verurteilen. Dass das, was geschehen ist, nicht deine Schuld war. Dass wir uns nicht schämen müssen. Dass wir nichts falsch gemacht haben. Gerade das ist sehr wichtig.

Es ist ganz egal, wie viel Wein du getrunken hattest und es ist ganz egal, ob ihr schon ab und zu mal rumgeknutscht hattet. Du hast Nein gesagt. Du hast Nein gesagt, bevor du eingeschlafen bist. Du hast Nein gesagt, nachdem er bereits minutenlang deinen Mund auf seinen Penis gedrückt hatte. Nachdem du minutenlang versucht hast, dich zu befreien, weil du doch einfach nur schlafen wolltest. “Du musst beenden, was du angefangen hast.” Dieser Satz wird dir auch Jahre später noch im Kopf herumgeistern. Weil er so falsch ist. Du musstest überhaupt nichts.


Und doch musst du dich noch fast ein Jahrzehnt später immer wieder damit auseinandersetzen, dass er dir gegen deinen Willen seinen Penis eingeführt hat. Anal. Dass er dir, während du geschlafen hast, die Strumpfhose ausgezogen hat. Dein Kleid hochgeschoben hat. Und dich vergewaltigt hat. Dieses Wort wirst du erst Jahre später finden. Du wirst es immer wieder von dir wegschieben und sagen “Das hat mit mir nichts zu tun.” Denn Vergewaltigung, das ist doch, wenn einen irgendjemand nachts in einen Busch zerrt. Jemand den man nicht kennt. Ja, auch das ist Vergewaltigung. Und du wirst immer wieder dankbar sein, dass es nicht so war. Aber du wirst auch lernen, dass Vergewaltigung viele Gesichter hat. Bekannte Gesichter. Vertraute Gesichter.


So sehr ich eine Weile wütend auf dich war, bin ich dir auch sehr dankbar. Dankbar, dass du dein Vertrauen und deinen Glauben an das Gute im Menschen nie verloren hast. Es wäre so einfach gewesen. Du hast gedacht, du würdest dich einem Freund anvertrauen. Das ist verständlich – wie solltest du alleine deine Gedanken ordnen? Du konntest nicht wissen, dass er so reagieren würde. Dass er heimlich Gefühle für dich gehegt hat und anstatt dich in den Arm zu nehmen, nur seine eigenen Gefühle verletzt sehen würde. Dass er es allen erzählen würde. Dass er ihnen im Wortlaut erzählen würde, was dir passiert ist. Dass niemand sehen würde, dass all das nicht richtig war. Dass du jemanden gebraucht hättest, der dich beschützt. Besonders vor dir selbst und deinen Schuldgefühlen. Und trotz all der Sticheleien, trotz des täglichen Bombardements mit Zitaten aus der schlimmsten Nacht deines Lebens, hast du den Kopf weit oben gehalten und einfach weiter gemacht.

Du bist keine Schlampe. Du hattest das nicht verdient. Deine Tränen sind etwas wert. DU bist nicht das Problem. All das wirst du in ein paar Jahren anfangen zu verstehen. Versteh mich nicht falsch, es wir nicht immer einfach sein. Es wird dir schwer fallen, Nähe zuzulassen und richtig von falsch zu unterscheiden. Du wirst dir selbst die Schuld geben und noch viel zu lange Kontakt mit dem Menschen haben, der all dieses Übel angefangen hat. Du wirst ihn niemals anzeigen. Aus Angst, dass sein Leben dadurch zerstört werden könnte. Absurd, nicht wahr? Aus Angst, dass dir niemand glauben wird. Und auch diese Entscheidung wirst du immer wieder rechtfertigen müssen. Vor Menschen, die nicht du sind. Die niemals werden nachvollziehen können, was in dir vorgeht – und sich trotzdem eine Meinung bilden. Aber weißt du was? Das ist in Ordnung.


Und auch, wenn sich das gerade nicht wirklich so anfühlt, gibt es ein Licht am Ende dieses Tunnels. Du wirst lernen, dass darüber zu sprechen die beste Medizin ist. Das klingt schwierig, ich weiß. Aber du wirst klein anfangen – bei einer wundervollen, einfühlsamen Therapeutin. Und Stück für Stück wirst du es erst einer Freundin erzählen, dann einer anderen und dann noch einer. Und mit jedem Mal, dass du laut aussprichst, was dir passiert ist, wird es ein bisschen leichter werden. Wird ein kleines Stückchen der Last von deinen Schultern genommen. Wirst du merken, dass es gut tut, dir deine Geschichte zurückzuholen.

Wünsche ich mir manchmal, dass alles anders gekommen wäre? Dass ich an diesem Abend nicht noch zu ihm gegangen wäre? Jeden Tag. Aber frag mich lieber, ob ich wahnsinnig stolz auf uns bin, weil wir das gemeinsam durchgestanden haben und immer noch durchstehen. Denn meine Antwort wird immer die gleiche sein: Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr."

https://www.stern.de/neon/herz/psyche-ge...source=standard


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