RE: Bossing - Der Feind vor meinem Büro

#1 von Christine , 25.08.2013 19:03

11.05.2010 · Drangsalieren, Intrigieren, Schikanieren, das ist die böse Fratze des Mobbing. Bossing heißt eine besonders belastende Variante dieses psychischen Drucks am Arbeitsplatz. Dann nämlich ist es der Chef persönlich, der den Mitarbeiter schlecht behandelt.
Von URSULA KALS


© CYPRIAN KOSCIELNIAK / F.A.Z.
Sie war jung, frisch verliebt und voller Tatendrang, als sie von Bielefeld nach München zu ihrem Freund zog. Das Glück schien perfekt, als die Mediengestalterin eine Stelle als Werbeassistentin fand. Die Aufgabe war zwar unterhalb ihrer Qualifikation, aber vielleicht bot die mittelgroße Agentur Aufstiegsmöglichkeiten. Die Zweiunddreißigjährige sollte sich täuschen. Ihre Arbeit bestand darin, Telefon-, Postdienst und Ablage zu erledigen, CDs zu archivieren und am Empfang zu sitzen. „Vielleicht war ich einfach zu blauäugig und habe manches nicht sehen wollen“, sagt Eva Koch (Name geändert).

Ausgeblendet hat sie ihr größtes Problem: das schlechte Verhältnis zu ihrer Chefin. Diese beschreibt Koch als eine unterkühlte, „geradezu einschüchternde Person“, die nicht nur Bitten nach anspruchsvolleren Tätigkeiten ignorierte, sondern deren Rückmeldungen - bevorzugt vor anderen Kollegen - sich in dem Vorwurf erschöpften: „Warum machen Sie das so schludrig?“ Wenn Eva Koch an diese Monate denkt, schleichen sich Sorgenfalten in ihr schmales Gesicht. „Ich konnte ihr nichts recht machen. Eine Einarbeitung fand nicht statt, ständig hieß es: ,Hier, machen Sie mal!' Endlich bekam ich spannende Aufgaben, aber mit zu eng gesetzten Terminen. Das war einfach nicht zu schaffen.“ Eine Aussprache, die die junge Frau einforderte, brachte nichts. „Im Gegenteil, danach wurde alles noch verkrampfter.“ Eva Koch resignierte - und kündigte.

Drangsalieren, Intrigieren, Schikanieren, das ist die böse Fratze des Mobbing. Bossing heißt eine besonders belastende Variante dieses psychischen Drucks am Arbeitsplatz. Dann nämlich ist es der Chef persönlich, der den Mitarbeiter schlecht behandelt. Sich an eine nächsthöhere Hierarchiestufe zu wenden, um sich zur Wehr zu setzen, ist schwer. Denn wem glaubt die Geschäftsführung - dem Mitarbeiter oder der Führungskraft?

Mitarbeiter weit unter ihrer Qualifikation einzusetzen ist eine klassische Bossing-Variante. „Zu mir kommen häufig Mandanten, die die schleichende Entwertung ihres Aufgabengebietes erleben“, sagt Frank Linzer. Der Anwalt aus Wiesbaden hat sich auf Bossing-Opfer spezialisiert, die folgende Situation beklagen: Jahrelang machen sie ihren Job gut, fallen in Ungnade, verlieren die Arbeit, die sie erfüllt hat, stattdessen gibt es Routinearbeiten. „Das habe ich von der leitenden Altenpflegerin bis zur Vertriebsleiterin, der man die Kunden wegnimmt, hin zu Bankangestellten, denen die spannenden Prüfungsaufgaben entzogen werden, häufig erlebt“, sagt Linzer.

Was ist der Auslöser für diese Degradierungen? Das sei oft ein Chefwechsel, sagt der Anwalt. „Mit dem alten Chef hat alles gut geklappt, dann kommt ein Neuer, der meint, alles anders machen zu müssen. Ein neuer Vorgesetzter hat auch neue Lieblinge, die er fördert. Dann ist, zum Beispiel in einem mittelständischen Unternehmen, der alte Vertriebsleiter nicht mehr gut genug.“ Was manchen Mitarbeitern nicht klar ist: Ändert sich das Aufgabengebiet dauerhaft um mehr als 50 Prozent, ist das rechtlich gesehen eine Versetzung. Da kann nicht nur der Betriebsrat protestieren. Solche Schritte müssen aber wohlüberlegt sein.

Gleichgültigkeit kann man trainieren

Wenn klärende Gespräche nichts zur Klärung beitragen, raten Fachleute, sich offiziell zur Wehr zu setzen, den Betriebsrat, die Gewerkschaft, die Gleichstellungsbeauftragte einzuschalten. „Ob das in der Praxis immer funktioniert, das ist eine andere Sache“, sagt Jürgen Fuchs. Der Wirtschaftspsychologe hat ein Buch über Bossing geschrieben und gibt zu bedenken: „Damit tritt man eine Lawine los, zunächst erhöht sich der Druck. Die Frage ist, hält man dem stand? Ich neige eher zu dem amerikanischen Klischee: Love it, change it or leave it.“

Fuchs favorisiert zunächst eine Anpassungsstrategie. Oft helfe es, sich eine größere Gleichgültigkeit anzutrainieren, eine andere Einstellung zu den Umständen zu finden. Er gibt aber zu: „Das ist einfach gesagt und schwierig zu machen.“ Auf jeden Fall helfe es, mehr Sport zu treiben, Techniken wie Autogenes Training zu erlernen, um den geballten Bosheiten besser zu trotzen. Auf seinen Seminaren ermutigt er, der eigenen Belastbarkeit zu vertrauen. Als Grund, dass „ausgerechnet die Verantwortlichen im Unternehmen die Hauptakteure im Psychokrieg sind“, sieht Fuchs den wachsenden wirtschaftlichen Druck, dem Führungskräfte ausgesetzt sind. „Sie verfallen in Verhaltensweisen, die nachvollziehbar sind, aber ein ungutes Klima fördern. Bossing stellt eine Form von Unreife dar“, erklärt der promovierte Psychologe.

Denn Führungsreife bestehe ja nicht nur in ausgezeichnetem Fachwissen, sondern in der Fähigkeit, Mitarbeiter „in ihrer Andersartigkeit zu akzeptieren“. Stattdessen neigten Führungskräfte dazu, sich selbst als Maßstab zu sehen. Ein Beispiel: Ein Chef hat ein niedriges Anerkennungsmotiv und arbeitet glücklich nach dem Motto: Nicht getadelt, ist gelobt. Nun hat er aber Mitarbeiter, die verstärkt Aufmerksamkeit benötigen und spätestens zum erfolgreichen Projektabschluss auf ein lobendes Wort hoffen. „Sie empfinden das Ausbleiben der Form von Anerkennung als Form von Bossing“, sagt Fuchs. Diese Missachtung sei die erste Stufe, manchmal folge dann die Ausgrenzung, Mitarbeiter werden von Informationen abgeschnitten. Stufe drei ist dann die Denunzierung, gezielt werden Informationen weitergegeben, die dem Mitarbeiter schaden können: Geredet wird immer nur über das, was der andere schlecht gemacht hat. Davon lassen sich die Kollegen nach und nach beeindrucken.

Helmut Fuchs erkennt in der fehlenden Empathie und dem verbreiteten Einzelkämpfertum vieler Führungskräfte eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. „Es ist zum Teil ja en vogue, rüde mit anderen umzugehen, da muss man sich nur manche TV-Formate ansehen. Damit hängt auch die Zunahme des Bossing zusammen.“ Auf der anderen Seite wachse die Vulnerabilität, die Verletzbarkeit, der Mitarbeiter, viele seien nicht mehr belastbar, lebensumfeldabhängige Krankheiten, seien es Aggressionen oder Depressionen, nehmen zu.

Aggressivtät statt Depression

Klaus Reuter, der gute Gründe hat, seinen richtigen Namen nicht gedruckt sehen zu wollen, neigt nicht zu Depressionen. Im Gegenteil, er wird aggressiv, wenn er über seine berufliche Situation spricht. Der Unternehmensberater aus Hamburg ist - so lautet seine Sicht der Dinge - zu erfolgreich für seinen Chef. Selbstbewusst zählt Reuter auf: „Ich habe lukrative Kunden gewonnen, Umsätze gesteigert, während andere mit der Akquise kämpfen. Darüber habe ich ein Fachbuch geschrieben, das sich richtig gut verkauft.“ Der Vierundvierzigjährige strahlt jungenhaft: „ Ich werde zu Interviews eingeladen und bin als Experte gefragt.“

Sein Vorgesetzter, gut zehn Jahre älter, habe seinen Werdegang anfangs wohlwollend begleitet. „Der war mein Mentor. Aber seit ich einen Fernsehauftritt hatte, ist die Stimmung gekippt. Ich werde bei Konferenzen abgebügelt oder gar nicht erst dazugebeten. Hintenrum erfahre ich, dass er übel über mich spricht, mir Eitelkeit nachsagt und unterstellt, dass ich schamlos Ideen der Kollegen vermarktet habe.“ Das Motiv hat der Volkswirt ausgemacht: „Der Mann ist neidisch. Ich habe das erreicht, was er immer erstrebt, aber nicht bekommen hat.“ Obwohl Reuter andere strategisch berät, ist er selbst mit seinem Latein am Ende. Die üblichen Tipps, Grenzen setzen, verbale Angriffe sachlich zu kontern, soziale Unterstützung zu demonstrieren, all das habe nichts gebracht. „Ich habe sogar ein Mobbingtagebuch geführt, notiert, wann ich wo ausgegrenzt wurde. Rechtlich relevant ist das nicht. Zwischen meinem Chef und mir stimmt die Chemie einfach nicht mehr.“ Reuter spielt mit dem Gedanken, sich selbständig zu machen.

Im Mandantenkreis von Frank Linzer sind mindestens zwei Drittel Frauen, die sich gegen Bossing wehren. Die Männer kommen später. Nämlich dann, wenn sie eine Abmahnung oder ein Versetzungsschreiben bekommen haben. Sich wegducken, anstatt sich zu wehren, hält Frank Linzer nicht nur von Berufs wegen für den falschen Weg: „Ich sehe immer, es ist für die Gesundheit besser, wenn man sich wehrt.“


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