Gießen: Sofortige Hilfe nach einer Vergewaltigung
Von Petra Zielinski vor 1 Tag
Frauen können sich bei der "Medizinische Soforthilfe""gerichtsfest" untersuchen lassen, ohne Anzeige bei Polizei erstatten zu müssen. Bilanz des Projektes nach zwei Jahren.
GIESSEN - "Gehen Sie zum Arzt und nicht zum Alltag über": So lautet der Text auf einem Plakat, das für die "Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung" wirbt. Vor zwei Jahren wurde die Kampagne mit dem Ziel ins Leben gerufen, betroffenen Frauen eine "niedrigschwellige Möglichkeit" zu bieten, sich nach einem sexuellen Übergriff untersuchen zu lassen und eine "gerichtsfeste Dokumentation" zu erhalten - ohne dabei Anzeige bei der Polizei erstatten zu müssen.
Nun zogen die Initiatoren im Büro von Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz, die zugleich Schirmherrin ist, Bilanz. "Das Projekt lebt davon, dass Frauen darüber informiert werden", unterstrich Friederike Stibane, Beauftragte für Frauen und Gleichberechtigung bei der Stadt Gießen. Während im ersten Jahr nur wenige Frauen die "Medizinische Soforthilfe" in Anspruch genommen hätten, seien es im zweiten Jahr immerhin knapp 20 gewesen. Aus diesem Grund seien erneut Plakate an Bushaltestellen aufgehängt worden. Darüber hinaus liegen unter anderem im "Kino Traumstern" in Lich sowie an vielen weiteren Orten in Gießen und Umgebung Flyer aus. Auch auf einem Bus wird - gesponsert vom "Modehaus Köhler" - Werbung gemacht.
Erste Anlaufstelle für Vergewaltigungsopfer ist das Uniklinikum Gießen. Bei einer Schulung hätten sich jedoch erstmalig auch niedergelassene Gynäkologen beteiligt, um in ihren Praxen betroffene Patientinnen umfassend und kompetent behandeln zu können. "Diese Einbindung ist sehr wichtig", betont Friederike Stibane. Bisher seien zwei Gynäkologen in Gießen dabei. Fakt ist, dass die umfangreichen Untersuchungen - zwischen 45 Minuten und einer Stunde - sowie die Spurensicherung von der Krankenversicherung nicht ganz übernommen werden. Zudem sei in der Regel eine zweite Untersuchung erforderlich, um zu gewährleisten, dass keine Infektion wie Hepatitis aufgetreten ist. In manchen Fällen sei auch ein Dolmetscher nötig.
"Eine vollständige Erstattung erfolgt nur, wenn die Vergewaltigung bei der Polizei zur Anzeige gebracht wird", erläutert Stibane. Einzige Ausnahme bilde hier das Saarland. Auch Medikamente wie die Pille danach würden nur bei einer Anzeige bezahlt. Hier bestehe eine enge Kooperation mit der Apotheke am Ludwigsplatz.
"Das Uniklinikum hält für Vergewaltigungsfälle ein von der Kripo zur Verfügung gestelltes Kit bereit, in dem unter anderem Abstriche, wenn nötig auch Beweismittel wie Bettwäsche, aufbewahrt werden können", ergänzt der stellvertretende Direktor der Frauenklinik, Dr. Frank Oehmke. Dieses Kit werde ein Jahr in der Forensik gelagert, falls das Opfer sich doch noch dazu entscheide, die Angelegenheit polizeilich und strafrechtlich aufklären zu lassen. Eine Anzeige wegen Vergewaltigung sei bis zu 20 Jahre nach dem Vorfall möglich.
"Das Opfer muss sich dann aber selbst an die Polizei wenden. Wir unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht." Auch Delikte gegen Schutzbefohlene - etwa Behinderte, Kinder oder alte Menschen - müssen offiziell gemeldet werden. Bei jeder Untersuchung sei jeweils ein Facharzt sowie eine weibliche Angestellte zugegen. Gleichzeitig bedauert Frank Oehmke, dass einige Krankenhäuser in der Umgebung die Aufnahme vergewaltigter Frauen ablehne.
Eine Hürde stelle für niedergelassene Ärzte auch der Zeitfaktor dar. Die Nachverfolgung eines lückenlosen Transports des Beweiskits vom Arzt zur Forensik müsse ebenfalls garantiert sein. Dennoch hofft Friederike Stibane, weitere ortsansässige Gynäkologen gewinnen zu können.
Einen Großteil der Kosten trägt das Uniklinikum. Aber wenn es um Öffentlichkeitsarbeit und Medikamente geht, sei man auf Spenden angewiesen. "2016 sind wir ohne finanzielle Mittel gestartet", blickt Stibane zurück. 2017 bis 2018 kamen 6000 Euro zusammen. Umso mehr freut sie sich, dass Henning Wolpers im Namen der Freimaurerloge "Ludewig zur Treue" einen Scheck in Höhe von 2000 Euro überreichte. Unterstützt wird die Aktion auch von der Gießener Hilfe - vor allem, was die psychische Betreuung betrifft -, von "pro familia", "Wildwasser" und dem Sozialdienst katholischer Frauen.
https://www.giessener-anzeiger.de/lokale...igung_19281145#